Wellinger lässt Oberstdorf beben

von Redaktion

DSV-Adler siegt am Schattenberg und schürt die Träume vom Tourneesieg

VON PATRICK REICHELT

Oberstdorf – Als die letzte deutsche Hoffnung auf dem Absprungbalken saß, haben auch die Fans im Stadion unter dem Schattenberg noch einmal das Letzte aus sich herausgeholt. Die 25 500 schrien und wedelten mit den unzähligen Schwarz-Rot-Goldenen Fähnchen. Als könnten sie dem Mann dort oben noch einmal ein extra Luftpolster verschaffen.

Doch das hatte Andreas Wellinger gar nicht nötig. Der 28-Jährige segelte auch bei diesem letzten Flug in den Tagen von Oberstdorf so traumwandlerisch ins Tal, wie ihm dies in den anderen zuvor gelungen war. Bei 128 Metern setzte er auf. Das reichte, um den wieder erstarkten Japaner Ryoyu Kobayashi und erst Recht um Topfavorit Stefan Kraft hinter sich zu lassen. Es reichte, um den Schattenberg zum Beben zu bringen. Worauf den Österreicher das Gefühl beschlich, dass es vielleicht auch ganz gut so war. „Ich bin froh, dass ich die Stimmung nicht zerstört habe. Das war wirklich einmalig.“

Und Wellingeer? Der Mann, für den Oberstdorf so oft eher eine Angstschanze war, war entsprechend schwer aufgewühlt. „Das ist unfassbar, meegageil“, sprudelte es aus ihm heraus. Und es kamen düstere Erinnerungen in ihm hoch. So wie die an Bischofshofen, wo er einst auch die Qualifikation für sich entschieden hatte, um dann unter der schweren Last auf seinen Schultern nach einem Sprung aus dem Wettbewerb zu kippen.

Nur ein Wunsch blieb ihm dann doch versagt. „Wir feiern die ganze Nacht“, hatte Wellinger spontan angekündigt. Dem schob der Bundestrainer schnell einen Riegel vor. „Zum Feiern ist keine Zeit“, verfügte Stefan Horngacher, „morgen ist Training, dann reisen wit weiter nach Garmisch-Partenkirchen.

Schon am Sonntag wartet dort ja die Qualifikation für das Neujahrsspringen. Auf die Olympiaschanze nimmt der Ruhpoldinger umgerechnet 1,67 Meter Vorsprung auf Kobayashi mit. Das ist nicht gerade ein Ruhekissen. Im Falle des Tournee-Topfavoriten Stefan Kraft, der in Oberstdorf mit Flügen auf 132,5 und 125 Meter auf den dritten Rang flog, sind es immerhin schon 5,78 Meter. Was dem nicht unbedingt schmecken wird. Die Rolle als Jäger wurde dem österreichischen Weltcup-Spitzenreiter zuletzt sechs mal in Folge mit Abstürzen am Neujahrstag zum Verhängnis. Kraft nahm die Aussicht locker. „Vielleicht liegt es daran, dass ich an Silvester braver und braver geworden bin. Das muss ich wohl ändern.“

Derweil ist den Deutschen nach dem Auftakt ein Vorzug abhanden gekommen, den man im Vorfeld als Schlüssel angesehen hatte. Aus drei heißen Titelanwärtern ist erst mal nur noch einer geworden. Karl Geiger, Tags zuvor noch Quali-Zweiter, wurde mit 132,5 und 122,5 Metern knapp hinter dem jugendlichen Teamkollegen Philipp Raimund (128,5/135 Meter) Siebter, Engelberg-Sieger Pius Paschke sortierte sich mit 127 und 130,5 Metern als Elfter ein. Mannschaftlich einmal mehr ein Topergebnis für den Deutschen Skiverband (DSV), für Raimund individuell sogar das Beste der Saison. Zumindest Geiger konnte über seinen Tourneestart nicht wirklich lächeln. „Ich kann es nicht ganz einschätzen, warum die Sprünge heute nicht geflogen sind“, murrte er verkniffen. 23,9 Punkte, umgerechnet also über 13 Meter, sind zumindest eine heftige Hypothek für die verbleibenden Tournee-Wettbewerbe.

Sein Trainer Stefan Horngacher wollte derlei negative Gedanken aber natürlich nicht zulassen. Der Tiroler hatte am Freitag erst mal Bauchatmung gebraucht“, um die Nervosität in den Griff zu kriegen. Umso erleichterter war er, als Wellinger den Schattenberg zum Beben brachte: „Das hat der Andi wirklich sensationell gemacht.“

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