Wellinger bei der Tournee

Das Toptalent veredelt sich selbst

von Redaktion

PATRICK REICHELT

Natürlich hat Andreas Wellinger alle Gedanken an den goldenen Adler noch weit von sich gewiesen. „Gut Skispringen“ ist angesagt, wie der Ruhpoldinger in Partenkirchen betonte. Zwei der vier Tourneeberge hat man schließlich noch vor sich bei dieser 72. Auflage der Vierschanzentournee. Vier Wettkampfsprünge also, von denen jeder einzelne noch viel zunichtemachen kann.

Doch ganz egal, wohin diese zweite Tourneewoche noch führt – schon jetzt kann man gar nicht hoch genug bewerten, was Wellinger da schon geglückt ist. Der 28-Jährige lag in seiner Karriere schon so oft am Boden. Am heftigsten 2019, nach dem großen Knall in seinem rechten Knie beim Training im österreichischen Hinzenbach. Das vordere Kreuzband war gerissen, Meniskus und Knorpel waren lädiert. Eineinhalb Jahre hatte Wellinger mehr im mondänen Rehazentrum seines Geldgebers als auf den Schanzen verbracht.

Vergleichbare Missgeschicke haben schon viele Weitenjäger endgültig vom Himmel geholt. Doch Wellinger hat sich auch von den (logischen) Misserfolgen nach seiner Rückkehr – die Ausbootung für die Olympischen Spiele in Peking inklusive – nicht aus der Bahn werfen lassen. Er hat sein außergewöhnliches Talent, das einst Ex-Bundestrainer Werner Schuster bei einem Lehrgang in Frankreich aufgefallen war, mit Fleiß und Akribie verbunden. Und eigentlich hat Wellinger sich und seine Karriere schon im letzten Jahr selbst veredelt. Siegte in Lake Placid und wenig später auch bei der WM-Generalprobe im rumänischen Rasnov. Vergleichbares, die Rückkehr auf die höchste Stufe des Siegerpodests nach einem Totalschaden im Knie, hatte in der langen Geschichte der Sportart vor ihm nur der Norweger Kenneth Gangnes geschafft.

Und nun – hat Wellinger die Chance, sich endgültig unter die allergrößten seiner Sportart zu schieben. Olympiasieger ist er schon seit Pyeongchang 2018. Doch wenn er nun seine Halbzeitführung bei dieser 72. Tournee ins Ziel bringen sollte, dann steht er endgültig in einer Reihe mit Namen wie Sven Hannawald, Jens Weißflog & Co – mit den Allergrößten seiner Disziplin.

Vorläufig wird Andreas Wellinger diese Gedanken noch verdrängen. Ist ja auch noch Zeit. Zumindest vier Tage noch. Eben bis die Tournee in Bischofshofen zu Ende geht.

patrick.reichelt@ovb.net

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