Darts-Wunderkind Littler

Märchen der anderen Art

von Redaktion

HANNA RAIF

In Bezug auf seine Bescheidenheit ist Luke Littler ein echtes Vorbild. Denn von dem Preisgeld, das das Wunderkind der Darts-Szene sich in den vergangenen Wochen im „Alexandra Palace“ erspielt hat, möchte er sich nicht mehr kaufen als Dinge, für die andere Teenager ihr Taschengeld verwenden. Ein paar „FIFA-Points“ zum Zocken, einen neuen Mantel und einen Trainingsanzug der Marke „Under Armour“ – das war’s. Kein Ferrari (wobei der mit 16 Jahren eh wenig Verwendung hat), keine Uhr, keinen Luxus-Urlaub, sondern ausschließlich Güter, die der Junge aus der Nähe von Liverpool für sein Leben braucht. Und da wird es jetzt weniger vorbildlich.

Für Kritiker der Darts-Szene – und des Hypes, der rund um den Jahreswechsel um die PDC-WM entsteht – ist die Aussage, die Littler dieser Tage über seinen Alltag von sich gab, gefundenes Fressen. Aufstehen, X-Box zocken, Dartboard: „Das Haus verlasse ich nicht.“ Wozu auch, wenn man kein Schwimmbecken, keine Turnhalle, keinen Tenniscourt, keinen Fußballplatz benötigt, um der Beste in seinem Metier zu werden? Littler, dem so coolen, leicht Limonaden- und Döner-bäuchigen WM-Finalisten, reichen drei Pfeile und eine Scheibe. Bam Bam Bam, werfen, holen, werfen, holen. Tag für Tag, stundenlang. Kann – ja, darf – er jetzt als Sportler bezeichnet werden?

Die Sinnfrage des Darts kommt jedes Jahr auf, genauso verlässlich wie die Silvester-Ausstrahlung von „Dinner for One“. Sie wäre simpel mit „Ja“ zu beantworten, indem man die DOSB-Definition heranzieht (eigene, sportartbestimmende motorische Aktivität, Selbstzweck der Betätigung, Einhaltung ethischer Werte). Sie ist aber noch simpler zu beantworten, wenn man Littlers Auftritte im „Ally Pally“ deutet. Denn die Unbekümmertheit, mit der der abgezockte WM-Neuling agierte, hat eine Magie entfacht, an der nicht nur die 3000 Zuschauer teilhaben wollten, die Tickets ergattert hatten. Wo, wenn nicht im Sport, sieht man so eine Begeisterung?

Das „Littler-Märchen“ mag nicht so ein großes sein wie jene der Tennis-Wunderkinder Steffi Graf oder Martina Hingis, wie das von Formel-1-Superstar Max Verstappen oder der Schwimm-Teenies Franziska van Almsick und Ian Thorpe. Aber seine Leistungen entstammen genauso den Werten, die Sport ausmachen. Leidenschaft, Disziplin, Durchhaltevermögen, Nervenstärke: Littler lebt seinen Traum – bald sogar im schicken Trainingsanzug . . .

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