Hochspannung in Bischofshofen

von Redaktion

Vor dem Tourneefinale trennen Kobayashi und Wellinger ganze 2,67 Meter

VON PATRICK REICHELT

Innsbruck – Als er dem Bergisel endlich den Rücken kehren durfte, hatte Andreas Wellinger vor allem eines im Sinn: essen. „Ich werde mir richtig schön den Bauch vollhauen“, kündigte er an. Dergleichen hat man von dem 28-Jährigen schon des Öfteren gehört. Dem Vernehmen nach wird Wellinger von so manchem Kollegen für die Fähigkeit beneidet, relativ folgenlos zu essen.

Und die große deutsche Hoffnung bei der 72. Vierschanzentournee hat ja nun auch ein bisschen Zeit, den Körper noch einmal auf Betriebstemperatur zu bringen. Am Donnerstag sah das Turnier einen Ruhetag vor. Viel schlafen, ein bisschen Training, dazu Physiotherapie – dann ging es weiter nach Bischofshofen, wo an diesem Freitag (16.30 Uhr/ARD und Eurosport) die Qualifikation für das Finale am Samstag (16.30 Uhr/ARD und Eurosport) wartet. Ein bisschen Durchschnaufen, das auch Wellingers Trainer Stefan Horngacher gerade recht kommt, denn: „Über meine Nerven reden wir besser nicht.“

Aber es knistert halt auch wie lange nicht mehr bei der Tournee. 4,8 Punkte Rückstand auf die neue Nummer eins Ryoyu Kobayashi, umgerechnet 2,67 Meter, bringt Andreas Wellinger auf seine gerne benutzte Trainingsanlage nach Bischofshofen mit. Wer auf der Paul-Außerleitner-Schanze besser abschneidet, der wird am Ende wohl ganz oben stehen. Knapper ging es in den letzten zehn Jahren nur einmal zu im Rennen um den goldenen Adler. 2016/17 hatte Daniel Andre Tande (Norwegen) dem Polen Kamil Stoch sogar nicht einmal einen Meter voraus und stürzte prompt noch auf den dritten Gesamtrang ab. Wellinger selbst reiste schon einmal als Nummer zwei nach Bischofshofen. 2017/18 hatte er allerdings heftige 64,5 Punkte (knapp 36 Meter) Rückstand auf Stoch im Gepäck.

Und nun? Wartet trotz der wohl schwierigen Witterungsbedingungen zwischen Schnee und Regen die seit Langem größte Skisprung-Party im Pongau. Schon Innsbruck war stimmungsvoll wie lange nicht mit einem Rahmenprogramm zum Niederknien. Da spielt es auch keine Rolle, dass die rot–weiß-roten Gastgeber nur noch um die Tagesklassements fliegen. Man schlägt sich eben auf die Seite des Nachbarn. So wie Österreichs Ex-Wunderkind Gregor Schlierenzauer: „Ich tippe auf den Andi Wellinger, auch weil die Deutschen endlich mal wieder an der Reihe sind.“

Allerdings hat es der Deutsche mit einem Gegner zu tun, der im Laufe dieses Turniers immer mehr zu der Unantastbarkeit gefunden hat, mit der er es immerhin zum erfolgreichsten aktiven Tourneespringer gebracht hat. Acht Tagessiege hat Ryoyu Kobayashi auf den vier Traditionsanlagen schon geholt, immerhin zwei davon auch schon in Bischofshofen. Und der 27-Jährige ist ein Mann, dem der Lärm des größten Ereignisses auf dem Weltcupkalender nichts anzuhaben scheint. Was auch Ex-Bundestrainer Werner Schuster ein bisschen Sorgen macht. „Andi hat sich einen verdammt harten Gegner ausgesucht“, sagte er der Heilbronner Stimme, „Es gibt keinen härteren Knochen als Kobayashi.“

Wellinger ist das vorerst egal. „Ich bin jetzt nicht mehr der Gejagte, sondern der Jäger“, sagte er, „und ich greife an.“

Artikel 1 von 11