Bischofshofen – Andreas Wellinger brauchte eine Weile, um wirklich Frieden mit dieser 72. Vierschanzentournee zu schließen. Erst beim abendlichen Essen mit den Teamkollegen ging dem Ruhpoldinger langsam auf, dass diese zehn Tage zwischen Oberstdorf und Bischofshofen eben doch auch für ihn besondere waren. „Ich bin stolz, aber am Ende hat es leider wieder einen besseren Skispringer gegeben.“
Ryoyu Kobayashi hatte das avisierte Herzschlagfinale letztlich doch zu einer Machtdemonstration gemacht. Schon sein 137-Meter-Flug im ersten Durchgang hatte viel Luft aus der Skisprung-Party im Pongau genommen. Im Finale, vor dem er kurioserweise zunächst seine Skier auf dem Weg zum Start vergaß, musste er sich seinen dritten Goldadler nur noch abholen. Wobei es für den Japaner auch gut zu verschmerzen war, dass ihm Austria-Liebling Stefan Kraft den Tagessieg wegschnappte – nach vier zweiten Plätzen ist Kobayashi der erste Springer seit Janne Ahonen 1999, der das wichtigste Turnier der Springerwelt ohne Einzelerfolg für sich entscheidet.
Vermutlich ist auch das ein Punkt, der zumindest ein bisschen an Wellinger nagte. Denn der 28-Jährige, dem in Bischofshofen die ganze Familie die Daumen drückte, hatte mit seinem Auftaktsieg in Oberstdorf auch bei sich selbst für einige Euphorie gesorgt. „Der Sieg, die Hymne dort, das war einer der schönsten Momente meiner Karriere“, sagte er.
Und der deutsche Springerliebling, der auch einige tausend Fans nach Bischofshofen gelockt hatte, hatte sich ja auch über die drei anderen Stationen hinweg keine echte Schwäche geleistet. Und doch ist Horst Hüttel, dem Sportdirektor des Deutschen Skiverbandes (DSV), nach dem Umzug nach Österreich ein Unterschied aufgefallen. „Vielleicht ist er doch ein bisschen zu viel ins Nachdenken gekommen“, mutmaßte er: „Ich denke, ihm hat ab Innsbruck ein bisschen die Leichtigkeit gefehlt.“
Anders als Kobayashi, der sich mit bewährten Mitteln stoisch durch die Tournee manövrierte. Gab einsilbige Pressekonferenzen, so sehr sich sein Übersetzer Markus Neitzel auch mühte, ansonsten ging er unbehelligt seiner Wege. Und hatte letztlich ein Turnier mit nur einer kleinen Schwachstelle in der Qualifikation beim Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen abgespult. Ansonsten lieferte der kleine Japaner nur Extraklasse. Wovor sich auch Bundestrainer Stefan Horngacher verneigte: „Er ist konstant auf allerhöchstem Niveau gesprungen. Das muss man einfach neidlos anerkennen.“
Bei Wellinger sah das anders aus. Der zuvor so traumwandlerisch aufgetretene Deutsche mühte sich schon in Innsbruck in die Tage hinein. Und so sah es dann auch in Bischofshofen aus. Platz neun in der Qualifikation nach kapital verpasstem Absprung („Da bin ich einfach eineinhalb Meter drüber hinaus gefahren“) – das taugte nicht unbedingt, um Druck auf den Rivalen auszuüben. Immerhin: Bärenstarke 137 Meter im Finale reichten, um den zweiten Platz im Gesamtrang abzusichern – einen zweiten Platz, der sicherlich schwerer wiegt als der erste 2018, als ihn Kamil Stoch schon vor dem Finale um heftige 36 Meter distanziert hatte.
Zumindest machte es Wellinger so viel Mut, dass er mit Blick auf die noch lange Saison, in der unter anderem auch eine Skiflug-WM Ende des Monats in Bad Mitterndorf ansteht, noch eine kleine Kampfansage in den Nachthimmel von Bischofshofen schickte. „Ich verspreche euch, dass ich bald wieder ganz oben stehe.“ Und den Goldenen Adler? „Wir werden es wieder probieren und irgendwann wird es nicht aufzuhalten sein. Da bin ich mir sicher.“