München – Es gibt Zufälle im Leben, die aus jedem Drehbuch unter dem Verweis „zu kitschig“ gestrichen worden wären. Ein Beispiel ist das alte Elternhaus der Familie Beckenbauer. Wenn man hier vor dem Eingang steht, sieht man sofort ein Klingelschild, das nirgendwohin besser passen würde: KAISER steht in Blockbuchstaben an der Eingangstür – einen treffenderen Nachnamen für den Nachmieter hätte es kaum geben können. Hier, mitten in der Giesinger Zugspitzstraße, ist Franz 1945 aufgewachsen. Zusammen mit seinen Eltern und Bruder Walter lebte die Arbeiterfamilie in der Wohnung der Großeltern. Nur ein paar hundert Meter entfernt gingen die Jungs auf die Ichoschule, in der Giesinger Heilig-Kreuz-Kirche war Franz ein Jahr Ministrant.
„Das Haus war so was von alt und unheimlich und dunkel“, sagte Walter schon vor drei Jahren dem FC-Bayern-Mitgliedermagazin 51. Trotzdem fühlten sich die Beckenbauer-Buben in der Wohnung wohl. „Wir hatten es wunderschön, wir hatten überhaupt eine wunderschöne Kindheit“, erinnert sich der Bruder des Kaisers.
Das lag vermutlich auch daran, dass besagte Wohnung direkt gegenüber von einem Fußballfeld lag, dem heutigen Platz des SC München von 1906. Schon als kleine Kinder lockerten die Brüder ein paar Holzlatten im Zaun, um zusammen mit den Nachbarskindern zu kicken.
Damals hatte der Platz, der inzwischen zu einem Kunstrasenfeld umgebaut wurde, wenig mit einem vereinstypischen Fußballplatz zu tun – trotzdem verbrachten Walter und Franz nahezu jede freie Sekunde auf dem Rasen. Die harten Bedingungen waren für die Jungs der Nachkriegsgeneration kein Problem.
„Da stand hier mal ein Grashalm, und dann da drüben einer, und in der Platzmitte lag nur lauter Sand.“ Im August 1956, mit elf Jahren, wurde Franz schließlich vom Jugendtrainer des SC 1906 München Franz Neudecker entdeckt und begann beim Giesinger Verein.
„Ein ganz arg feiner Mensch“, sagt Bruder Walter rückblickend über den Nachwuchscoach. „Er kam mit nur einem Bein aus dem Krieg zurück, aber er spielte weiter Fußball – und war mit seinen Krücken schneller als andere mit zwei Beinen.“
Und so musste sich Franz nicht mehr durch den Zaun schleichen, sondern landete erstmals im Vereinsfußball. Eigentlich wollte Beckenbauer danach zum TSV 1860 wechseln, nach einer folgenreichen Ohrfeige eines Löwen-Stürmers im letzten Spiel von Franz für den SC 1906 entschied dieser sich aber für den FC Bayern – der Rest ist bekannt.
Seine Heimat hat Franz Beckenbauer dabei nie aus den Augen verloren. „Sein ganzes Wesen ist aus Giesing“, sagt Bruder Walter, „das wird immer in ihm stecken, das bekommt keiner raus, und das ist gut so.“ Später wollte Franz die alte Wohnung sogar kaufen, der Plan scheiterte allerdings. In Verbindung mit dem Kaiser dürfte das Elternhaus in Giesing trotzdem bleiben.