„Er besaß eine Geduld, die ich immer an ihm bewunderte“

von Redaktion

Paul Breitner über gemeinsame Erlebnisse, Beckenbauers Charakter, Kritik an ihm und die WM 2006

Vier Jahre zusammen beim FC Bayern, gemeinsam Weltmeister und Europameister. Paul Breitner erinnert sich im Gespräch mit unserer Zeitung an Franz Beckenbauer.

Herr Breitner, wie war Ihr Verhältnis?

Franz ist einer der wenigen Menschen, der meinen Lebensweg maßgeblich mitbestimmt hat.

Was meinen Sie damit?

Die Erfolge des FC Bayern sorgten dafür, dass ich bei meiner ersten Profi-Station bei einem der führenden Vereine Europas gelandet bin – und dafür war Franz verantwortlich. Er hat den FC Bayern zusammen mit Gerd Müller geprägt. All die Siege, Titel und Triumphe haben meinen Lebensweg gestaltet. Ich wäre sonst zum Beispiel sicher nicht in Madrid gelandet.

Welche Eigenschaften verkörperte Beckenbauer als Fußballer für Sie?

Ich sah beim Franz bestätigt, warum ich schon als Jugendlicher Fußball spielen wollte: um zu gewinnen! Und diesen absoluten, hundertprozentigen Willen, habe ich bei ihm sofort bemerkt. Außerdem habe ich von Franz gelernt, wie eine Mannschaft zu führen ist.

Und zwar?

Egal ob beim FC Bayern, Real Madrid oder anderswo – die Nummer Eins der Gruppe darf sich nicht über Phrasen oder Gequatsche definieren. Sondern darüber, dass dieser Anführer Leistungen zeigt und so das Team zum Erfolg bringt. Franz war nie einer, der etwas alibimäßig gesagt oder getan hätte. Es war alles auf den Punkt auf den Erfolg bezogen.

Ist dieser Siegeswille neben seiner Leichtigkeit etwas untergegangen?

Bei den Zuschauern in München hieß es fast immer: „Der Franz schwitzt gar nicht, er transpiriert nur.“ So haben seine Bewegungen, sein Laufstil und die Ballführung ausgeschaut. Nach dem Motto, er ginge nach dem Spiel in die Kabine, schüttelt sein Trikot aus – und fertig. Das war der Eindruck, den die Fans zuhause hatten.

Wie war er wirklich?

Gerade auswärts, wenn wir mal zurücklagen, wandelte sich Franz vom feinsten Techniker zum größten Ackerer. Dann ist er mit voller Wucht in Zweikämpfe gegangen und mit dem Schädel durch den Strafraum geflogen. So hat er neben seiner Technik auch mit körperlichem Einsatz versucht, Spiele bis zur letzten Minute umzubiegen. Er hatte eine unglaubliche Arbeitsmoral und Siegeswillen.

Woher kam der Ehrgeiz?

Franz hat gewusst, dass er in jedem Spiel die Verantwortung trägt. Wenn wir gewannen, waren er und Gerd Müller zusammen die großen Sieger. Aber bei einer Niederlage war Franz allein der große Verlierer. Diese Rolle hat er sich durch seine Qualität automatisch erarbeitet. Und damit hob er sich von anderen überragenden Fußballern ab, die ihre Karriere trotz großer Fähigkeiten nur als Talente beendeten – und nicht mehr.

Ihm wurde nachgesagt, dass er alle gleichbehandelt.

Selbst wenn Franz vermeintlich keine Zeit hatte, hat er sie sich genommen. Manchmal saßen wir schon eine halbe Stunde im Bus und wollten endlich vom Stadion weg, aber Franz stand noch draußen, bis er auch den letzten Autogrammwunsch erfüllt hatte. Egal wie und wo: Er besaß eine unglaubliche Geduld gegenüber Fans, die ich immer an ihm bewunderte.

Fanden Sie die Kritik um die WM-Vergabe 2006 berechtigt?

Wenn ich Ursache und Wirkung gegeneinander abwäge, nein.

Sie haben Beckenbauer zuletzt im November 2022 besucht, zusammen mit Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß.

Wir haben ihn zu dritt getroffen und in einem Salzburger Restaurant zu Mittag gegessen. Das war das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe.

Wie behalten Sie dieses Treffen in Erinnerung?

Wenn ich an Franz Beckenbauer denke, denke ich nicht an einzelne Treffen. Sondern an einen Menschen, von dem ich viel gelernt habe und mit dem ich mich immer wieder zusammengerauft habe. So wurden wir beim FC Bayern zu Partner und Kollegen. Daraus entstand schließlich eine wunderbare Freundschaft. Und so behalte ich ihn in Erinnerung.

Interview: Vinzent Tschirpke

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