„Geht’s naus und spuit’s Fußball“

von Redaktion

Als Trainer war Franz Beckenbauer akribischer als viele dachten – der Höhepunkt war Rom

VON GÜNTER KLEIN

Franz Beckenbauer wollte und sollte nie Trainer werden. Brigitte, seine erste Ehefrau, die versuchte, aus ihm einen kulturaffinen Menschen zu machen, hatte andere Pläne mit ihm für die Zeit nach dem Fußball: Warum nicht Medizin studieren, Arzt werden? Das wäre schon mangels Abitur schwierig geworden. Aber für Franz Beckenbauer war klar: Er würde sich nicht ins Feuer stellen wollen, dem Trainer als die letztlich Verantwortlichen für die Leistungen ihrer Spieler ausgesetzt waren. Für den Trainerlehrgang beim DFB, zu dem Ex-Profis bevorzugten Zugang erhielten, meldete er sich gar nicht erst an, als 1983 seine Karriere auf dem Feld geendet hatte. Und doch hatte er 1984 plötzlich das höchste Amt im Fußball-Staate inne.

Die Nationalmannschaft hatte eine desaströse Europameisterschaft hinter sich, war beim Turnier in Frankreich in der Vorrunde ausgeschieden. Dem gütigen Bundestrainer Jupp Derwall waren die Stars auf der Nase herumgetanzt, „Häuptling Silberlocke“ wurde nach zuvor ansprechenden Ergebnissen (EM-Titel 1980, Vizeweltmeister 1982) zum Gespött der Öffentlichkeit. Es brauchte einen neuen Frontmann, einer, der das Versprechen auf den Aufbruch in eine neue Ära geben würde. Bis dahin hatte im DFB die Erbfolge gegolten: Bundestrainer konnte eigentlich nur werden, wer dem Chef assistiert hatte. Doch nein, dieses Modell war nicht mehr zukunftsfähig. Die Bild-Zeitung trieb die Revolution voran, schlug Franz Beckenbauer, dem Haus Springer freundschaftlich verbunden, vor. Der müsse es gar nicht erst lernen, eine Mannschaft zu führen, das habe er doch immer schon getan. Und genügend gute Lehrmeister gehabt. Dass ihm der offiziell erforderliche Schein fehlte – geschenkt. So wurde Beckenbauer 1984 nicht Bundestrainer, sondern Teamchef. Für die Erfüllung der Vorgaben auf dem Papier holte er sich Holger Osieck.

Beckenbauer hatte natürlich einen Bonus. Mit ihm verband man die besten Zeiten, die der deutsche Fußball gehabt hatte, und er galt als der Mensch, dem alles glückte. Seine erste Maßnahme war es, die Nationalspieler zum Singen der Hymne zu verpflichten – das nahm auch die konservativen Kreise, die das Fehlen einer klassischen Trainerausbildung hätten rügen können, für ihn ein. Doch schon bei der Premiere zeigte sich: Vom Handauflegen alleine würde sich keine Besserung einstellen beim DFB-Team, es verlor gegen Argentinien 1:3 – der Teamchef stand am Spielfeldrand in seiner Pose, die berühmt werden sollte: Die Arme vor dem Körper verschränkt; ein Kaiser fuchtelt nicht unkontrolliert herum.

Wer erwartet hatte, Beckenbauer würde seine Mannschaft zu schönem Spiel anleiten, sah sich bald getäuscht. Der einstige Freigeist bevorzugte Typen, die für Sicherheit standen, für rustikales Spiel, für Fleiß. Klaus Augenthaler, Norbert Eder, der kantige Mittelstürmer Dieter Hoeneß. Es ging um Erfolg, nicht um Ästhetik. Die Beckenbauer-Ära, die von 1984 bis 1990 währte, bot nur selten den Fußball, der möglich gewesen wäre mit neuen hochbegabten Spielern wie Pierre Littbarski, Thomas Häßler, Olaf Thon, Rudi Völler. Der Satz „Geht’s naus und spuit’s Fußball“ ist gelegentlich gefallen – ein Grundsatz des Beckenbauerschen Trainerwirkens war er aber nicht.

Roland Loy hat erzählt, dass Franz Beckenbauer sich in Taktik und Details weitaus mehr vertiefte, als die Zuschauerschaft das glaubte. Der Münchner war einer der ersten in Deutschland auf dem Feld der Spielanalyse, er belieferte während der WM 1990 in Italien den Teamchef mit Daten über die Gegner. Die waren damals natürlich – verglichen mit der heutigen Erfassung über zu ortende Chips, die die Spieler am Körper tragen – rudimentär. Was Loy zuhause ermittelte, schickte er per Fax nach Erba ins Mannschaftshotel; im Turmzimmer, das Beckenbauer bewohnte, brannte auch nächtens das Licht. Das Genie Beckenbauer war fleißig.

Seine Stärken als Trainer lagen im Umgang mit den Spielern und den Medien. Beckenbauer weihte die Journalisten bei täglichen Treffen in seine Pläne ein, erzählte 1986 in Mexiko zu Beginn des WM-Turniers von seinem Geheimplan, den unerfahrenen Stürmer Uwe Rahn sich als Joker fürs Finale aufzusparen – was letztlich von einer Verletzung Rahns durchkreuzt wurde. Aber alle Reporter hielten still. Nicht mitgenommen hatte Beckenbauer den formstarken Guido Buchwald, ihm aber das derart mitfühlend dargelegt, dass der Stuttgarter nicht grollte und vier Jahre später zu einer der Schlüsselfiguren beim WM-Triumph wurde. Der Teamchef fand auch die richtige Tonlage im Gespräch mit Olaf Thon, dem er 1990 nach dem Halbfinale, das dieser im Elfmeterschießen entschieden hatte, mitteilte: Im Endspiel kehrt Pierre Littbarski in die Startelf zurück – seiner Verdienste wegen.

Beckenbauer konnte allerdings auch durchgreifen und wüten. 1986 schickte er den Hamburger Torhüter Uli Stein nach dessen abschätziger Bemerkung „Suppenkasper“ unehrenhaft nach Hause, 1990 machte er die Mannschaft nach dem mühsam gewonnenen WM-Viertelfinale gegen die CSFR rund. Und als das Team vor dem Fernseher beim Drama England – Kamerun die Afrikaner unterstützte, sagte er: „Seid’s wahnsinnig? Wollt’s wirklich gegen die im Halbfinale spielen?“

Vizeweltmeister 1986, im Halbfinale bei der Heim-EM 1988, Weltmeister 1990 – und auf dem Höhepunkt trat Beckenbauer ab. Er war 44 Jahre alt und wollte wieder frei sein. Er hinterließ ein großes Bild – die Hände in den Hosentaschen spazierte er abseits des Trubels über den Rasen des Olympiastadions von Rom – und einen großen Spruch: „Wenn jetzt die Spieler aus der DDR dazukommen, wird unsere Mannschaft auf Jahre hinaus unschlagbar sein.“ Ein Gag –aber zugleich eine Bürde für seinen Nachfolger Berti Vogts, mit dem der DFB zum Verdienst- und Erbfolgeprinzip zurückkehrte.

Der DFB-Teamchef Beckenbauer war Geschichte, nicht aber der Trainer. Er ließ sich noch dreimal überreden. Von seinem Freund, dem Geschäftsmann Bernard Tapie, bei Olympique Marseille in einer Mischfunktion als Trainer und Technischer Direktor einzuspringen (1990/91) – und von seinen Bayern: 1994 löste er Erich Ribbeck ab, 1996 Otto Rehhagel. Es sprangen der Gewinn der Deutschen Meisterschaft (94) und des UEFA-Pokals (96) heraus – Beckenbauer nannte den Wettbewerb „Cup der Verlierer“. Der Entertainment-Faktor war stets hoch bei ihm.

1996 war er aber nicht nur Trainer, sondern auch der Präsident des FC Bayern. Die nächste Karriere war also schon eingeleitet: die des Funktionärs.

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