Beckenbauer auf allen Kanälen

von Redaktion

Mehr als ein Fußballer, Werbefigur, Mann des klaren Worts: Mediale Wirkung wie sonst keiner

VON GÜNTER KLEIN

Jeder Mensch in Deutschland kannte Franz Beckenbauer. Auch die Jüngeren, die ihn nie hatten spielen sehen und für die auch die Tätigkeit als Trainer noch zu früh kam. Er war dann halt der etwas angegraute nette Typ, den man häufig in der Werbung sah. „Ja, is’ denn heut’ scho’ Weihnachten?“– kein Reklamesatz dürfte eine solche Karriere gemacht haben wie dieser aus den Spots für einen Mobilfunkanbieter, die Beckenbauer drehte.

Bereits Jahrzehnte zuvor hatten die Werber sein Potenzial erkannt. Mitte der 60er-Jahre – Beckenbauer war 20 – beschaffte ihm Bayern-Manager Robert Schwan, der sich auch um den Franz als privaten Klienten kümmerte, den ersten Vertrag: Beckenbauer goutierte eine Suppe, die ihm nebenzu Kraft für seinen Sport spendete. Die Deutschen erlebten ihren Franz Beckenbauer in Rollen abseits des Platzes – seine Präsenz erreichte sonst niemand, weder aus Sport noch Politik oder Unterhaltung stammend. Als das Land in den 80ern mit dem Aufkommen des privaten Fernsehens mehr Kanäle bekam, war er an manchen Abenden auch in mehr als einem Kanal zu sehen. Es war möglich, von Beckenbauer zu Beckenbauer umzuschalten. Und wenn nicht zum originalen, dann zu jemandem, der den Fußball-Kaiser parodierte – in dessen Singsang: „Ja gut, äh, sicherlich…“

Franz Beckenbauer war der erste Fußballschaffende in Deutschland, der über seinen Sport hinauswuchs. Man verfrachtete ihn ins Tonstudio, wo er 1966 die Songs „Gute Freunde kann niemand trennen“ und „1:0 für deine Liebe“ aufnahm – eine Episode seines Lebens, die er im Nachgang selbst bespöttelte. 1973, zwischen seinen beiden erfolgreichsten Turnieren (EM 1972, WM 1974), wurde über ihn und mit ihm ein Spielfilm gedreht – mit dem nahe liegenden Titel „Libero“, der heute in den Giftschränken der TV-Anstalten verschwunden ist. Auch Brigitte, seine erste Ehefrau, zwängte ihn in Rollen. Etwa die des Kulturliebhabers, der mit den Münchner Feuilletonisten zu den Wagner-Festspielen nach Bayreuth reisen musste. Torsten Körner, der die beste Beckenbauer-Biografie schrieb, erzählt, wie der Fußballer auf der Hinfahrt im Auto erbat, man möge doch die Popwelle Bayern 3 einschalten statt des Klassikkanals.

Franz Beckenbauer war nicht nur Sänger, Schauspieler und Theatergänger, sondern auch Autor. Zahlreichen Büchern über ihn wie „Gentleman am Ball“ folgten eigene Betrachtungen. „Einer wie ich“, 1975 von Bertelsmann aggressiv in den Markt gedrückt – und sehr erfolgreich: In deutschen Buchwänden fand das autobiografische Franz-Werk seinen Platz neben den Schinken von Johannes Mario Simmel. 1992 kam noch eine Fortsetzung: „Ich. Wie es wirklich war.“ Natürlich war ein Ghostwriter beauftragt worden.

All diese künstlich erzeugten Zusatzgeräusche rechtfertigte Franz Beckenbauer mit seiner unverfälschten Art, die zu seinem Markenzeichen wurde: eine bodenständige Freundlichkeit, aus der aber eine Art von heiligem Zorn erwachsen konnte. Diese spezielle Art lernten die ZDF-Reporter Marcel Reif und Michael Palme kennen, die der DFB-Teamchef Beckenbauer bei Auftritten im Sportstudio anging. „Was habt’s da für einen Zauberer?“, bezog er sich auf den jungen Marcel Reif nach dessen Wechsel vom Politik- ins Sportressort – und riet zur Rückkehr ins Korrespondentenbüro in Rom. Redakteur Palme sah sich gezwungen, während der Sendung aus den Kulissen hervorzutreten und sich der Kritik Beckenbauers zu stellen. Der Ärger war immer auch schnell verraucht, Marcel Reif wurde sogar zu einem engen Freund.

Beckenbauer spielte damit, dass wenige Worte, oft nur hingeworfen, genügten, um die Nachrichtenlage zu bestimmen. Und selbst wenn er im Münchner Olympiastadion nach einem Derby Bayern – .1860 zum zehnten Mal beklagte, das sei „Obergiesing gegen Untergiesing“ gewesen – es wurde mitgeschrieben. Der angedeutete Verdruss, der nie richtig tief ging und sich in Wohlgefallen auflöste – er schuf ein bleibendes Bild von Franz Beckenbauer.

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