Millionen von Menschen trauern weltweit um Franz Beckenbauer (†78). Auch Joseph S. Blatter (87). Der Schweizer kannte Beckenbauer seit rund 50 Jahren. Der langjährige FIFA-Präsident (1998-2016) erinnert sich im großen Interview mit unserer Zeitung.
Herr Blatter, was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Sie vom Tod des Kaisers hörten?
Die Nachricht machte mich tief betroffen. Der Fußball verliert einen seiner herausragenden Spieler und eine seiner prägendsten Persönlichkeiten. Will man Franz sportlich würdigen, können nur die größten Spieler der Geschichte als Maßstab gelten: Pelé, das brasilianische Genie, Alfredo di Stefano, der wunderbare Argentinier – oder Johan Cruyff, der grandiose holländische Offensivvirtuose.
Wann hatten Sie das letzte Mal Kontakt?
Wir pflegten sporadisch telefonischen Kontakt: bis am Neujahrstag – als ich ihn anrufen wollte, aber seine Ehefrau Heidi sagte, dass er nicht mehr ans Telefon kommen kann. Das war wie eine Alarmglocke. Da machte ich mir große Sorgen.
Für viele Menschen war der Kaiser ein Vorbild, eine Ikone. Wie groß war Beckenbauer für Sie?
Als Spieler gewann er alles, was es zu gewinnen gibt. Aber Franz war viel mehr als ein Fußballer. Er war vielleicht der erste Superstar unseres Spiels auf dem europäischen Festland. Dass er zum Kaiser ernannt und zur Lichtgestalt befördert wurde, sagt alles. Vor allem war er auch ein wunderbarer Mensch – der für alle ein offenes Ohr hatte und keinen Unterschied zwischen Arm und Reich machte. Er war ein Kaiser des Volkes.
Wie hat sich Beckenbauer auf der Bühne der Sportfunktionäre verhalten?
Es gab nur wenige mit seinem Renommee, die immer mit beiden Füßen auf dem Boden geblieben sind und nie vergessen haben, woher sie kommen. Bei allen Würden und Referenzerweisungen ist er immer der Franz aus Giesing geblieben.
Was hat Beckenbauer als Mensch ausgezeichnet?
Bescheidenheit, Großzügigkeit, Eleganz – Gelassenheit.
Auch im kleinen Walliser Dorf Ulrichen war er regelmäßig – als Gast Ihres früher jährlich ausgetragenen Sepp-Blatter-Turniers. Welche Anekdote haben Sie parat?
Er flog zwar mit dem Privatjet nach Sion – und dann mit dem Helikopter nach Ulrichen: Aber dort hat er in kurzen Hosen Fußball gespielt mit Platini und mir – und dann setzte er sich in der Festwirtschaft auf eine Holzbank und bestellte Raclette und Weißwein.
Er war 2017 auch bei der Eröffnung des FIFA-Restaurants Sonnenberg in Zürich dabei.
Das war typisch Franz. Ein Mann des Volkes, der weder Champagner noch Kaviar brauchte, um glücklich zu sein. Einen charmanteren und charismatischeren Grillmeister hatten wir in Zürich seither nie mehr.
Sie erlebten schöne Zeiten mit Beckenbauer, nicht immer waren Sie aber einer Meinung. Wie war Ihr Verhältnis wirklich?
Im Fußball führt man auch Zweikämpfe. Franz war Präsident eines Clubs – ich war Präsident der FIFA. Da gehen die Interessen oft auseinander. Aber zwischen uns herrschte immer das Gebot der Fairness und des Respekts.
Vor allem der Tod seines Sohnes Stephan erschütterte ihn. Fast zeitgleich kamen Gerüchte um seine Rolle bei der WM-Vergabe 2006 auf, die ihm schwer zusetzten. Auch Sie sahen sich während Ihrer Zeit als FIFA-Präsident mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert. Was macht so etwas mit einem Menschen?
Die Art und Weise, wie mit Franz umgegangen wurde, war nicht korrekt. Das war unfair, unanständig und respektlos. Darunter hat er extrem gelitten. Es ist richtig, dass ich in einer ähnlichen Situation war – aber ich ließ mich nicht entmutigen. Und weder Franz noch ich haben uns strafbar gemacht oder sind verurteilt worden.
Vor drei Jahren waren Sie dem Tod nahe. Sie waren an Corona erkrankt, es hieß, Ihr Herz sei kaputt. Wie wie geht es Ihnen?
Als Walliser ist man dem lieben Gott immer nahe – aber damals war ich noch näher. Ich glaube, ich hörte die Engel schon singen. Aber mittlerweile sind die Engel weg – es geht mir sehr gut.
Im Interview mit „blue Sport“ haben Sie gesagt, Sie seien sich sicher, Beckenbauer im Himmel wiederzutreffen.
Ich bin ein gläubiger Mensch – und glaube fest daran, dass die Seele nach dem Tod in einer anderen Dimension weiterlebt. Und für gute Fußballer ist im Himmel ein schöner Platz reserviert. Dort werden wir uns sehen… (lacht).
Interview: Philipp Kessler