Henning Fritz (49) gewann die Europameisterschaft 2004 und 2007 die Weltmeisterschaft im eigenen Land. Im Interview spricht der ehemalige Welthandballer über Pizza als Erfolgsmittel, den Umgang mit Druck und Motivator Alfred Gislason.
Herr Fritz, Turniere im eigenen Land waren für deutsche Handballer zuletzt ja sehr erfolgreich. Sind sie bereit für ein neues Wintermärchen?
Sagen wir mal so: Das deutsche Publikum ist gut und schnell zu begeistern. Das kann schon sein, dass da wieder etwas entsteht. Und ich wünsche das den Jungs sehr, dass sie diese Erfahrung sammeln können. Das ist das Größte, was du erleben kannst. Aber der Grat ist schmal. Diese Verantwortung im eigenen Land kann auch lähmen.
Bei ihnen selbst, bei der WM 2007 hat es ganz gut geklappt. Sie holten den Titel…
Ja, schon. Und es ist definitiv so, dass dich Atmosphäre tragen kann. Gerade wenn es eng wird, geht es doch darum, wer länger daran glaubt, zu gewinnen. Und da hilft das Publikum ungemein. Aber auch bei uns hat es lange überhaupt nicht danach ausgesehen. Schon die letzten Tests gegen Ägypten waren fürchterlich schlecht. Das sah aus, als hätten wir das Handballspielen verlernt. Die Vorrundenspiele gegen Brasilien und Argentinien waren keine Offenbarung und dann verlieren wir gegen Polen. Da sind wir einfach nicht ins Rollen gekommen. Hätten wir das erste Hauptrundenspiel gegen Slowenien verloren, wären wir weg gewesen.
Aber genau da haben sie den Schalter offenbar gefunden.
Wie das Leben manchmal so spielt. Da kam ja dieses Pizzathema, als die Mannschaft sich Pizzas ins Hotel bestellt hat. Heute kann man darüber lachen, damals war mir nicht danach zumute. Ich habe immer noch die Worte von Heiner (Bundestrainer Brand, d. Red.) im Ohr. ‘Könnt ihr mir das erklären? Ich sehe die Isländer, die gegen Frankreich kämpfen wie die Schweine. Und hier sehe ich den Pizzabäcker vorbeilaufen.‘ In diesem Moment hat sich irgendwie eine Handbremse gelöst. Er hat die Verantwortung an uns gegeben. Und bei uns dachte jeder: Ok, jetzt stehst du am Abgrund, jetzt können wir es laufen lassen. Und dann ist der Funke auch übergesprungen. Aber das muss von uns kommen. Von innen.
Im aktuellen Team hofft man auf diesen Funken ja durch das Auftaktspiel im Fußballstadion. Zurecht?
Im Idealfall ist es so. Aber da gibt es keine Schablone. Das Problem ist ja: Im Gegensatz zum Verein bist du als Nationalmannschaft nur sehr kurze Zeit zusammen. Und ein Nationaltrainer kann, rein was das spielerische angeht, nicht mehr so viel bewegen. Du kannst eine Grundidee reinbringen und mit den Führungsspielern besprechen. Aber das Hauptthema ist, für Atmosphäre zu sorgen. Der Rahmen ist wahnsinnig wichtig. Du kannst dafür sorgen, dass alle sich wohlfühlen, dass jeder die Rolle hat, die zu ihm passt. Manche wollen Führungsspieler sein, andere einfach nur dabei sein. Aber auch die sind ganz wichtig. Wir haben die EM 2004 damals mit Spielern von der Bank gewonnen, mit Christian Zeitz oder Jan-Olaf Immel.
Wer sind denn die führenden Köpfe im aktuellen Team?
Andreas Wolf spielt ganz sicher eine wichtige Rolle. Auch Juri Knorr, zumindest auf dem Feld. Auch Johannes Golla mit seiner Ruhe und Souveränität. Der hat ja schon in sehr jungem Alter die Kapitänsrolle gekriegt. Aber der macht das gut. Und es muss ja nicht nur einer sein, der führt.
Was eine funktionierende Mannschaft bewegen kann, haben im Sommer die Basketballer gezeigt. Deren Bundestrainer Gordon Herbert sagte: Ich will nicht die Allerbesten, ich will das beste Team.
Und das ist auch richtig so. Es ist halt immer noch Mannschaftssport. Wenn du nur noch Häuptlinge oder Indianer hast, dann kann es schief gehen, weil die Egos ihre Rolle in der Gruppe suchen und sich behindern können. Nikola Karabatic ist für mich ein Beispiel: Er ist gar nicht unbedingt vom Talent her der beste Handballer. Aber er ist ein unfassbarer Arbeiter, der sich mit Haut und Haaren mit einer Mannschaft identifiziert.
Was aber natürlich viel Gewicht auf den Trainer legt. Diesmal ist es Alfred Gislason, mit dem auch Sie schon gearbeitet haben. Was zeichnet ihn aus?
Er ist sicherlich ein großartiger Motivator. Die Isländer arbeiten ja gerne gerne mit Mythen und geschichtlichen Dingen. Das tut er auch, auch wenn man das nur dosiert machen kann. Mit ist ein Moment in Erinnerung geblieben. 2001, da haben wir mit Magdeburg EHF-Pokal-Finale gespielt. Das Hinspiel haben wir mit Glück mit einem Tor gewonnen. Du fuhren wir nach Kroatien, die Halle war brechend voll. Dann haben wir uns in der Kabine zusammengesetzt. Und Alfred? Er hat überhaupt nichts über Handball geredet. Das heute ist etwas, was bleibt, wenn wir uns in zehn Jahren mal wieder sehen und solche Dinge. Dann sind wir raus und haben die mit zehn Toren weggespielt. Alfred ist schon einer, der eine Mannschaft über diese Schiene greifen kann.
Hat er sich in den zwei Jahrzehnten verändert?
Ich denke, er hat die gewisse Gelassenheit des Alters. Dass er nichts beweisen muss. Das kann jetzt schon sehr hilfreich sein. Du braucht niemanden, der laut wird, die Anspannung ist hoch genug. Du brauchst jemanden, der Führung gibt.
Interview: Patrick Reichelt