Lichtgestalt im Schatten

von Redaktion

Franz Beckenbauers Karriere als Funktionär – erst gefeiert für die WM, dann gesperrt wegen Geldflüssen

Franz Beckenbauer war ein sehr ernsthafter Funktionär – mit dem großen und ehrlichen Anliegen, eine Weltmeisterschaft nach Deutschland zu holen. Dafür kämpfte er mit einer Mischung aus Charme und Kratzbürstigkeit. Im Jahr 2000 ging es in die entscheidende Phase der Bewerbung. In die war auch der FC Bayern einbezogen. Der lud zur Feier seines 100. Geburtstags ins Münchner Prinzregententheater, doch bevor das Programm mit dem Highlight eines Überraschungs-Live-Auftritts des großen Loriot losgehen konnte, sprach Präsident Franz Beckenbauer ein steifes Grußwort, bei dem es vor allem darum ging, die anwesenden Gäste der FIFA-Exekutive in der korrekten Aussprache, mit dem vollen Titel und der größtmöglichen Untertänigkeit anzusprechen. Da wurde klar: Beckenbauer, dem man stets eine Lässigkeit in jeder Lebenslage nachgesagt hatte, konnte sich hineinfuchsen in ein Thema.

Und als Deutschland die Austragung der Weltmeisterschaft längst übertragen war, tat er alles für ein gutes Gelingen der Veranstaltung. 2004/05 kam der neue Bundestrainer Jürgen Klinsmann mit dem Wunsch um die Ecke, das DFB-Quartier von Bergisch Gladbach mit Leverkusen als Trainingsort nach Berlin zu verlegen. Das führte zu diplomatischen Verwicklungen, denn Bayer in Leverkusen hatte die deutsche Bewerbung finanziell unterstützt und dafür die Zusage bekommen, Gastgeber des DFB-Teams werden zu dürfen. Beckenbauer nun schlug sich auf die Seite Klinsmanns und legte sich – in garstiger Tonlage – mit einem der wesentlichen Industriebetriebe in Deutschland an.

Mit der WM 2006, die in allen Kategorien beste Bewertungen erhielt, krönte Franz Beckenbauer sein Lebenswerk im Fußball. Was konnte danach noch kommen? UEFA-Präsident – darauf verzichtete er, weil er sich an eine alte Zusage des DFB gebunden fühlte, nicht gegen den Schweden Lennart Johansson anzutreten. FIFA-Boss? Mit Sepp Blatter, dem Amtsinhaber, kam er gut zurecht, und eigentlich genügte es, einen der 24 Plätze im Exekutivkomitee zu haben. Franz Beckenbauer spielte im großen Fußball weiterhin mit. Er sah sich als Glückskind, als Lichtgestalt – und dann ging ihm das Strahlen verloren.

Zur WM 2014 nach Brasilien reiste Beckenbauer nicht, ausgerechnet ihm, der an zwei WM-Titeln beteiligt gewesen war, entging es, wie seine Nachfolger den nächsten Stern einspielten. Vor der WM war Beckenbauer von der FIFA zur unerwünschten Person erklärt worden. Damals ermittelte der frühere FBI-Mann Michael Garcia wegen Korruption im höchsten Fußballgremium rund um die Doppelvergabe der Turniere 2018 und 2022 an Russland und Katar. Der „Kaiser“ zeigte sich zunächst wenig kooperativ, beantwortete den ihm zugeschickten Fragenkatalog nicht – woraufhin er gesperrt wurde. Nach Aufhebung der Sperre war er dann beleidigt.

Wie hatte er 2010 bei der FIFA abgestimmt? Das blieb geheim. Aber: Für die russische Energiewirtschaft trat er anschließend als Botschafter auf – war das die Entlohnung? Für 2022 war er von den Australiern engagiert worden – auf Empfehlung von Sepp Blatter, der den Bewerbungsinteressenten von Down Under den Tipp gegeben hatte: „Fragt die Deutschen, sie wissen, wie man eine WM bekommt.“ Australien erhielt, obwohl es sich von Fedor Radmann, dem Beckenbauer-Intimus vertreten ließ, nur eine Stimme. Und es war nicht die deutsche. FIFA-Präsident Sepp Blatter gab gegenüber der früheren PR-Chefin der australischen Kampagne, Bonita Mersiades, an, aus Mitleid für die Aussies gestimmt zu haben.

„Die Deutschen wissen, wie man eine WM bekommt“ – giftige Blatter-Worte. 2015 brach schließlich die nächste Welle über Franz Beckenbauer herein. Es ging um einen undeklarierten Geldfluss von umgerechnet 6,7 Millionen Euro durch die Bücher der WM 2006 und am Ende von seinem Kitzbüheler Konto nach Katar zum ominösen Bauunternehmer und Stimmenbeschaffer in der FIFA, Mohamed bin Hammam. Die Enthüllung des Spiegel veränderte die Wahrnehmung der Deutschen von ihrem verehrten Alleskönner – auch wenn es infolge von Verjährung und Zuständigkeitsgerangel der gerichtlichen Instanzen nie zu einer richtigen Aufarbeitung kam. Beckenbauer gab an, sicher viele Papiere unterzeichnet, sie aber nicht gelesen zu haben (was nicht zum Bild des akribischen Funktionärs auf der 100-Jahre-Bayern-Gala passte), es kam auch heraus, dass er keineswegs ehrenamtlich für die WM 2006 gearbeitet hatte, sondern über einen Werbevertrag mit dem staatlichen Wettanbieter Oddset entlohnt worden war. Die entscheidende Frage blieb unbeantwortet: Hatten auch die Deutschen sich eine WM nur gekauft? Manche argumentierten: Falls ja, dann war es zu einem günstigen Preis. Alte Weggefährten stellten sich vor Beckenbauer – doch das Denkmal hatte Kratzer bekommen, es wackelte.

Franz Beckenbauer zog sich zurück, er wurde krank, bei gelegentlichen Auftritten, die ihm sein Verein FC Bayern bei Museumsthemen gönnte, erschreckten sich Zuhörer an seiner heiser und kraftlos gewordenen Stimme. Er wirkte eingefallen. Die Augen leuchteten noch, wenn es um das Früher ging, das vor den WM-Enthüllungen lag. Das Früher, in dem alle zu ihm aufblickten, und das nun vergangen war.

GÜNTER KLEIN

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