Am Ende der härtesten Abfahrt der Welt während des Zielsprungs bei weit über 100 km/h die Skier bis fast zum Spagat spreizen? Vor 20 Jahren war das kein Problem für Kristian Ghedina (54). Im Gespräch mit unserer Zeitung erinnert sich der zwölffache italienische Weltcupsieger.
Kristian Ghedina, werden Sie öfter auf die Grätsche 2004 angesprochen, oder doch Ihren Sieg auf der Streif 1998?
Na na na (lacht). Alle reden nur von dem Sprung. Ich glaube, viele wissen gar nicht, dass ich 98 gewonnen habe. Die Leute gratulieren mir allgemein zu meiner Karriere und dann sprechen 99 Prozent über die Grätsche.
Welchen Stellenwert hat die Grätsche in Ihren Erinnerungen?
Klar ist es eine schöne Erinnerung. Aber auf keinen Fall die wichtigste. Die schönste ist eigentlich mein erster Weltcupsieg 1990 in Cortina. Aber an Kitzbühel erinnere ich mich immer gern. Es hat mir Spaß gemacht, dort zu fahren. Ich mag die Strecke und die Leute.
Wie haben Sie das geschafft? Spaß auf so einer gefürchteten Strecke, dass sogar ein kleines Zirkusstück drin ist?
Die Grätsche habe ich nicht für die Show gemacht. Damals hat so etwas noch gar nicht solche Aufmerksamkeit bekommen wie heute über die Soziale Medien. Nein, die Grätsche hatte mit einer Wette zu tun.
Und zwar?
Ich hatte sie schon bei der Besichtigung gemacht. Natürlich mit viel weniger Tempo. Mein Cousin hat das gesehen und dann gemeint: „Warum musst du immer irgendetwas machen? Immer willst du der Clown sein.“ Ich habe gesagt, dass das nichts Spezielles sei und ich es auch im Rennen machen könnte. Er sagte nur: „Jaja, du redest nur.“ Danach haben wir um eine Pizza und ein Bier gewettet.
Sind Sie mit Herausforderungen wie der Streif lockerer umgegangen als andere?
Mh, lockerer… Ehrgeizig war ich schon. Aber in Kitzbühel, da schwätzt wirklich niemand am Start, alle sind so konzentriert. Ich war nie jemand, der alleine auf der Seite steht und Musik hört. Zu reden und etwas Spaß zu machen, war meine Methode, mich zu fokussieren. Dann wusste ich genau, was ich kann und wo das Limit ist, über das ich nicht gehen darf. So etwas wie die Grätsche, die ich auch heute noch beim Skifahren mache, ging dann. Wenn ich aber versucht habe, mich zu sehr zu konzentrieren, ging das Adrenalin hoch und ich habe Fehler gemacht.
Mit welchen Konkurrenten konnten Sie sich am Start gut unterhalten?
Na ja, manchmal habe ich gar keine Antwort bekommen, so konzentriert waren die (lacht). Ich wollte nicht stören und habe mich dann mit den Trainern unterhalten. Einmal stand ich hinter Didier Cuche im Starthaus, drei Minuten vor meinem Start, eine Minute vor seinem. Plötzlich dreht er sich um und und sagt: „Ghedo, sei bitte still, ich muss mich konzentrieren.“ Ich gleich: „Ja okay, entschuldigung.“ Danach hat er dann gesagt, er sei nur Zweiter geworden, weil er sich wegen mir nicht konzentrieren konnte (lacht).
Didier Cuche meinte zu uns einmal, dass Kitzbühel der einzige Weltcuport war, wo danach ausnahmsweise gefeiert wurde. Waren Sie da dabei?
Ich weiß, er oder zum Beispiel Luc Alphand waren danach immer im Londoner. Ich bin immer gleich nach Hause gefahren oder ins Hotel und habe mich erholt. Wie ein richtiger Athlet.
Diese Bezeichnung trifft auch auf den aktuellen Dominator Marco Odermatt zu . . .
Ja, es ist unglaublich, was er zeigt. Ich schaue ihm gerne zu. Aber es ist auch unglaublich was Kilde (Aleksander Aamodt) kann, schade dass er sich verletzt hat. Überhaupt sind die Norweger faszinierend. Ich bin noch mit Lasse Kjus und Kjetil Andre Aamodt gefahren. Immer wenn einer aufhört, kam ein Neuer. Svindal (Aksel Lund), dann Jansrud (Kjetil) und Kilde.
Wie sehen Sie Ihren Nachfahren im italienischen Team: Dominik Paris?
Auch ihm schaue ich gerne zu. Aber ich bin nicht sicher – Dominik wirkt auf mich, als ob er weniger Selbstvertrauen hat als früher. So kam es mir vor, als er in Gröden im Dezember gewonnen hat und in Bormio, wo er immer gut war, dann schlechter war.
Haben Sie in Kitzbühel dieses Wochenende Zeit, das Drumherum mehr zu genießen als noch zu Ihrer aktiven Zeit?
Ich weiß es noch nicht, aber wahrscheinlich bin ich nicht da. Ich bin vor neun Monaten zum zweiten mal Vater geworden und verbringe so viel Zeit wie möglich mit meiner Familie.
Werden Ihre Söhne in 20 Jahren den Weltcup aufmischen?
(lacht) Mit dem älteren, er ist drei, war ich letztens das erste Mal Skifahren. Er hatte Spaß. Aber ich möchte meine Söhne nicht zum Skifahren pushen. Sie sollen ausprobieren, was ihnen gefällt, ob Fußball, Hockey, Langlauf, Volleyball, Schwimmen oder Ski und selbst entscheiden.
Abschließend: Für welche Pizza haben Sie sich damals entschieden, was ist Ihre liebste?
Pizza mit Salsiccia und Büffel-Mozzarella mag ich am meisten. Die beste Pizza.
Interview: Thomas Jensen