Die Hoffnung lag auf Köln, dem deutschen „Handball-Mekka“, wie man im Verband gerne betont. Die fast 20 000 Fans sollten die DHB-Truppe in der EM-Hauptrunde zu vier Siegen und damit ins Halbfinale führen. Und die vielen Feierwütigen in ihren manchmal etwas lustig anmutenden Schwarz-Rot-Gold-Bemalungen und -Perücken gaben am Samstagabend ihr Bestes – selbst Mitte der zweiten Halbzeit noch, als Österreich mit fünf Toren führte und jeder wusste, dass keine Sternstunde mehr folgen würde. Einzig der Funke wollte nicht überspringen. Wenn man ehrlich ist, sucht man ihn seit der 45. Minute des letzten Vorrundenspiels gegen Frankreich. Bis dahin hatte man den Rekord-Weltmeister am Rande einer Niederlage, brach dann aber ein.
Offensichtlich ist in der Mannschaft etwas kaputtgegangen. Island war schon dürftig, das Nachbar-Duell eine Offenbarung. Die Stimmung scheint Juri Knorr & Co. eher zu erdrücken als zu beflügeln. Natürlich hat der etwas ratlos wirkende Bundestrainer Gislason Recht, wenn er auf die vielen freien Fehlwürfe verweist. Aber, wie kann es sein, dass eine Mannschaft, die sich eine Medaille zum Ziel gesetzt hat, in einem Alles-oder-Nichts-Spiel so verwirft? Anspruch und Wirklichkeit liegen beim DHB weit, weit auseinander – seit Jahren. Die aktuelle Mannschaft hat zwar nicht ganz das individuelle Potenzial von Dänemark oder Frankreich, aber als funktionierende Einheit, hätte sie bei diesem Heim-Turnier locker das Halbfinale im Arm.
Wie viel man aus wenig machen kann, zeigt Österreich. Topformat haben nur einzelne. Rechtsaußen Robert Weber war zumindest früher Weltklasse, heute ist er Spielertrainer bei der HSG Bärnbach/Köflach – abgeschlagener Letzter der zweitklassigen Austria-Liga. Pausen bekommt der 38-Jährige, wie die anderen Anführer im ganzen Turnier nicht. Allein, für Deutschland reicht es. Und wäre ihnen in den letzten zehn Minuten ohne Tor (!) nicht die Kraft und das Glück ausgegangen, dann müsste man das „Mekka“ in Cordoba umbenennen.
So hat der DHB theoretisch weiter alle Chancen. Ungarn und Kroatien sind wahrlich schlagbar, aber es bräuchte einen mentalen Neustart. Andernfalls erlebt der Adler heute eine böse Bruchlandung. Für den Verband wäre das eine kleine Katastrophe und die große Weltrekord-Euphorie zu Beginn nur noch heiße Luft.
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