München – Thomas Tuchel hatte eine Steilvorlage bekommen – aber wer bald ein Jahr Erfahrung als Trainer des FC Bayern hat, lässt sich halt nicht mehr leicht locken. Es war klar, worauf die Frage nach der Kritik abzielte, die Bayerns Vorstandsboss Jan-Christian Dreesen am Sonntag geäußert hatte. Aber Tuchel haben die Worte seines Vorgesetzten, der den unter ihm gespielten Fußball unter anderem als „langweilig“ bezeichnet hatte, nicht getroffen. „Gar nicht“ sogar, wie der 50-Jährige mit zwei Tagen Abstand zum blamablen 0:1 gegen Bremen ausführte. Und zwar aus dem einfachen Grund, dass sein Chef „ja absolut Recht“ habe.
Der Blick an diesem Dienstag sollte eigentlich nach vorne gehen, auf die Partie, die heute Abend (20.30 Uhr) gegen Union Berlin ansteht. Um dort anzukommen aber, musste er zunächst noch einmal nach hinten gerichtet werden, denn der „blutleere“ Auftritt vom Sonntag (Christoph Freund) wirkt an der Säbener Straße freilich noch nach. Die Mängelliste war in der Analyse nicht unbedingt kürzer, sondern eher länger geworden – und Tuchel führte sie bereitwillig aus. Nahezu alle „Grundtugenden“ des Fußballs sprach der Trainer seinem Team ab, konkret nannte er: „Leidenschaft, Biss, Zweikampfverhalten, Verbissenheit, Enthusiasmus.“ Mit Sicherheit hätte er noch ein paar Schlagworte mehr gefunden. Stattdessen aber versuchte Tuchel das, was Kritiker nach Abpfiff von ihm vermisst hatten. Er übte sich „als Erster, der sich selber hinterfragt, wenn so wenig von dem, für das ich stehen will, auf dem Platz ist“, in Selbstkritik. Und kündigte eine Reaktion an: „Ich werde auf meine Erfahrung und meine Intuition hören.“
Ob er das Training anpassen werde oder aber die Ansprache, da war er sich noch nicht sicher. Mit Blick auf die Bilanz aber ist nur logisch, dass eine Veränderung keine schlechte Idee ist. Tatsächlich nämlich ist Tuchel seit 2011 der Bayern-Trainer mit dem schlechtesten Punkte-Schnitt (2,11), auf Platz sieben hinter Niko Kovac (2,26) und weit hinter Spitzenreiter Hansi Flick (2,53). Die nackten Zahlen sehen erschreckend aus, weil aber die Vorgeschichte bekannt ist – Tuchel übernahm bekanntlich mitten in der letzten Rückrunde ein taumelndes Team von Julian Nagelsmann (Platz 4/2,41) –, fallen sie nicht gar so arg ins Gewicht wie der Eindruck, den sein Team gegen Werder vermittelt hat. Auch intern fragt man sich, wann der „Knoten“ platzt, den Tuchel von seiner Gruppe bis dahin vehement „einfordert“.
Viel Zeit für die taktische Aufarbeitung blieb nicht, das Nachholspiel gegen Union wird also zu einer echten Mentalitätsprüfung. „Einfach“ sei es nicht, „den Schalter umzulegen“, beteuerte Tuchel, und der Blick auf die Tabelle macht die Gesamtsituation nicht komfortabler. Sieben Punkte Rückstand sind es aktuell auf Tabellenführer Leverkusen: „Wir sind uns der Ausgangslage sehr deutlich bewusst.“ Wie er sie bewältigen will, ist die „Gretchen-Frage“, die Tuchel sich in den 75 Stunden zwischen Abpfiff und Anpfiff stellt.
Ausformuliert lautet sie: „Ist jetzt der Moment, wo die noch mal beweisen dürfen, dass sie es besser können, oder ist schon der Moment, wo ein paar Wechsel passieren?“ Ein Fall für diverse Einzelgespräche der letzten Tage. Nur mit Dreesen gab es keins. „Das ist aber nichts Außergewöhnliches“, sagte Tuchel, sondern ein Resultat „der räumlichen Trennung“.
Langweilig, diese Antwort.