Orlando – Kürzlich, als die Orlando Magic in New York spielten, sagte Franz Wagner einen Satz über diese Stadt, den so noch keiner gesagt haben dürfte. „New York erinnert mich sehr an Berlin“, sprach er ins Mikrofon bei Ex-NBA-Spieler und Podcaster JJ Reddick. Das war zu allererst als Kompliment an den „Big Apple“ zu verstehen, denn Berlin ist Franz Wagners Heimat- und Sehnsuchtsort. Keine zehn Minuten vom Trainingszentrum von ALBA Berlin wuchs er auf. Seine Eltern und viele seiner Freunde wohnen noch dort. Mit einigen verabredet er sich extra zu Online-Videospielen, um Kontakt zu halten. „Auf jeden Fall vermisse ich die Heimat“, sagt Wagner.
Andererseits lässt sich heraus lesen, dass sich der Berliner Basketballer nun auch in den Metropolen des NBA-Kosmus zuhause fühlt. Bislang musste man schon die nieschigen Nerds befragen, um Verlässliches über Wagner und seine Magic zu erfahren. Es ist einige Jahre her, seit der Klub aus Orlando mehr war als eine Beigabe zum Disneyland war, die man gerne mitnahm bei einem Trip nach Florida. Anders gesagt: Wagner und die Magic werden nun nicht mehr vom Freizeitpark übertönt. Sie sind selbst eine Attraktion in der NBA und in New York.
Das liegt natürlich an Wagner selbst und seinem genialen Partner Paolo Banchero, 22 und 21 Jahre alt und – nach allem was man sagen kann – zwei angehende Superstars in diesem Basketball-Panoptikum. Viele Experten sehen in den Orlando Magic die Mannschaft von Morgen. Nur das Morgen in diesem Fall schon heute ist. Bis zu Wagners Ausfall (er verletzte wie bei der WM sein Sprunggelenk, diesmal allerdings am rechten Bein) gehörte seine Mannschaft zu den fünf Besten im Osten. Am Sonntag kehrt der 2,08 Meter große Flügelspieler beim Sieg gegen Miami zurück und trotz der Niederlage gegen Cleveland am Mittwoch halten sich die Magic auf Platz acht. Playoffs mit Wagner und Co. – das ist urplötzlich ein realistisches wie unerwartetes Szenario.
Wagner und Banchero sprengen alle Zeitpläne und Prognosen. Aber das war beim jungen Deutschen ja schon immer so. Mit 16 trainierte und spielte er bei den Profis von ALBA. Gestandene NBA-Veteranen wie JJ Reddick überrascht das europäische Modell noch immer. Selbst 2024, existieren fundamentale Unterschiede in den Systemen des globalen Basketballs. Die Amerikaner bilden möglichst talentierte Einzelspieler aus, in deren DNA an erste Stelle die Gier nach den eigenen Körben gestanzt ist. In Europa lehren sie Basketball als Teamsport, als ein Geben und Nehmen.
Mit 17 wechselte Wagner ans College, um mehr von dieser amerikanischen Mentalität aufzusaugen. „Das Arschloch in dir“ entdecken – so drückt es JJ Reddick aus. Mit der Einstellung rauszugehen: „Ich kann dich jede Nacht töten“, so formuliert es Wagner. Der junge Mann ist ein Killer geworden. Über 20 Punkte gelingen ihm im Schnitt für Orlando. Er und Banchero sind die Zwillingssonnen, die den Klub zum Leuchten bringen.
Um sie herum hat Trainer Jamahl Mosley eine Herde Hyänen versammelt. Bissige Furien, die den Gegnern am liebsten das Fleisch von den Knochen nagen würden und nichts lieber tun als Verteidigen. „Zusammen und super hart“, so treten die Magic auf, sagt Franz Wagner. Derzeit stellt Orlando die viertbeste Verteidigung der ganzen Liga. Bruder Moritz Wagner, Spitzname Moe, ist so was wie der Hyänen-Papa. Keiner provoziert mehr, keiner wirft sich härter in jeden Ball. „Manchmal ist es sogar zu viel Energie“, scherzt Franz Wagner. Ja, diese Magic sind ein Abziehbild ihres Trainers.
Mit einer Ausnahme. Franz Wagner steht für das filigrane Element. Sein Trainer, verrät der 22-Jährige, sagt oft zu ihm: „Spiel’ Schach da draußen.“ Jede von Wagners Aktionen sieht aus, als hätte er schon den nächsten, übernächsten Zug im Kopf. Ob das nun ein Pass, ein Wurf oder einer seiner höchst kreativen Abschlüsse sein mag.
Gerade arbeitet Wagner an seinen Sturmläufen zum Korb, schaut viel Video von Luka Doncic, dem Großmeister dieser Disziplin, vergleicht sich mit ihm. Vom Team hat er dafür extra die Zugangsdaten der hochmodernen Analyseplattform „Second Spectrum“ erbeten. Derlei Detailarbeit verrichtet nur die Elite. Deshalb sehen manche in ihm einen zertifizierten NBA-Star, also einen künftigen Top-20-Spieler der Welt.
So einen kann auch die Nationalmannschaft im Sommer bei Olympia gut gebrauchen. All der NBA-Trubel vermag es nicht, die Vorfreude gänzlich zu übertünchen. Franz Wagner sagt: „Ich freue mich schon darauf, alle wieder zu sehen.“ Nationalteam sei für wie ihn wie Klassentreffen – die nächsten Wochen in der NBA dagegen die Lohnarbeit. ANDREAS MAYR