Ein warmer Hauch von Vorfreude

von Redaktion

Noch 177 Tage: Das olympische Image ist schwer in Schieflage – wird mit Paris alles besser?

VON ANDREAS MAYR

Paris – Etwas mehr als ein halbes Jahr ist es noch bis zu den Spielen in Paris – und selbst als der große Wanderzirkus der NBA die Stadt kürzlich aufsuchte, ging es zuvorderst um Olympia. In der Accor-Arena im Stadtteil Bercy wird das Basketballfinale ausgetragen. George Eddy sagt: „Das könnte ein historischer Moment werden.“ Nun muss man über George Eddy wissen, dass er zwar Sportjournalist ist, einer der bekanntesten des Landes sogar, aber davor noch Basketballer. Der Mann hält ein Finale zwischen den USA und Frankreich für das größtmögliche Ereignis des größtmöglichen Sportturniers. Ein wenig überzogen, aber so ist George Eddy, ein Entertainer am Mikrofon, flamboyant in Auftritt wie Erscheinung, lieber zu laut als zu leise. Und eben auch ein Connaisseur des französischen Sports. Er sagt: „Alle Pariser, die Sport mögen, sind begeistert von Olympia.“

Das trifft die Temperatur der Stadt in diesen Tagen ziemlich gut. Es wäre falsch, von einer Spaltung der Stadt zu sprechen. Vielmehr haben sich zwei größere Gruppen gebildet. Sie co-existieren friedlich vor sich hin. Die Enthusiasten und die Pragmatiker. Zur zweiten zählt sich Charlene Amsvo. Sie empfängt vor dem Arena-Eingang Gäste mit teuren Karten, spricht Deutsch und wird doch tatsächlich Paris für die Zeit der Spiele verlassen, nach Deutschland ziehen. „Ich weiß, dass ich meine Wohnung auf jeden Fall vermieten möchte“, sagt die junge Frau. Damit lässt sich gutes Geld verdienen und dem Stress entkommen. Schon jetzt fährt an einigen Tagen so manche Metro-Linie nicht. Für viele Pariser bedeuten Olympische Spiele in ihrer Heimat eine Abkehr vom Alltag. Die Regierung siedelt 2200 Studenten um, damit Rettungs- und Sicherheitskräfte ihre Wohnung bekommen. Mit 100 Euro sowie zwei Eintrittskarten entschädigt sie die jungen Menschen. Fair ist das nicht, findet Charlene Amsvo. Doch das ist der Preis, den eine Stadt wie Paris zu zahlen hat für die Weltspiele des Sports.

Als chaotisch beschreibt sie zeitweise die Verkehrssituation in der Stadt. „Wir sind noch gar nicht richtig bereit für Olympia“, sagt Charlene Amsvo. Erst 84 Prozent der Infrastruktur steht, vermeldeten die Organisatoren Anfang des Monats. Kein Tag vergeht ohne eine solche Nachricht. Kürzlich erfuhren die Bewohner der Stadt, dass Bürgermeisterin Anne Hidalgo wirklich vor dem Olympiastart in der Seine schwimmen wird. Dieses Versprechen gab sie – wie einst Jacques Chirac in seiner Zeit als Bürgermeister. Nur der hielt es nicht. Die Wasserqualität bereitet den Machern – trotz aller Reinigungsversuche – nach wie vor größte Schwierigkeiten. Paris hangelt sich Stück für Stück gen Ziel, hin zur Eröffnungsfeier am 26. Juli. Stets umsäumt von einem warmen Hauch der Vorfreude. An einem Kiosk neben der Basilika Sacré-Cœur auf dem Montmartre verkaufen sie Fahnen mit den Olympischen Ringen. Im Fernsehen, etwa bei George Eddys Sender Canal+, laufen Werbefilmchen. „Generell gibt es viel Enthusiasmus“, sagt der TV-Mann. In einer Umfrage aus dem vergangenen Sommer gaben 58 Prozent der Franzosen an, dass sie Olympia für eine gute Sache halten. Drei Monate zuvor waren es elf Prozent mehr gewesen. Die Eintrittspreise verfärben – neben einigen weiteren Gründen – das Gemüt der Gastgeber.

Axel Riffault weiß schon, dass er keine Tickets bekommt. Der Mann hat gerade etwas mehr als 100 Euro für eine NBA-Karte in Paris hingeblättert. Für die entscheidenden Basketballspiele bei Olympia würde er ein Vielfaches zahlen. Noch dazu sind die Billetts für Männerspiele längst vergriffen. „Die letzten Tickets sind viel zu teuer“, sagt der Mann mit dem Wembanyama-Trikot. Victor Wembanyama – das ist Frankreichs neuer Nationalheld, ach was, der Messias einer neuen Basketball-Generation. 2,24 Meter groß, ausgestattet mit allen Fähigkeiten eines guten Basketballers. George Eddy hebt ihn schon in himmlische Sphären. „Er könnte womöglich der nächste Michael Jordan werden. Er ist die Zukunft der NBA und des französischen Basketballs. Er ist das Herzstück des Teams.“ Dieses Teams steht unter enormem Druck. Von den Basketballern wird nicht weniger als eine Medaille erwartet. Zumal die jüngste Weltmeisterschaft in „einem Desaster“ endete, wie George Eddy sagt, und Frankreich in der Vorrunde ausschied. Axel Riffault wird am Fernseher sitzen, George Eddy lauschen. „Wie die meisten Menschen“, betont er. Von Public Viewing, wie es die Deutschen etwa beim Fußball zelebrieren, weiß der Mann aus dem Speckgürtel der Stadt nichts. Für ihn und seine Freunde gibt es ein halbes Jahr vor Olympia kein heißeres Thema. „Wir sprechen jeden Tag über die Spiele.“

Erstaunlich klein und leise kommt die Fraktion der großen Kritiker daher. Es gibt sie, bestätigt George Eddy. „Meistens geht es um ökologische Vorbehalte.“ Alexandre Joly, ein Experte in Sachen Klima und Energie, könnte man zu den Vertretern zählen. Beim Portal „France 24“ dröselte er die Mängel auf. Es geht um Dinge wie die intransparenten Messmethoden beim CO2-Fußabdruck, um versiegelte Grünflächen, um gefällte Bäume, um Flüge und Verkehr. Aber selbst Joly muss festhalten: Olympia in diesem Format geht nicht grüner. Es bräuchte schon eine fundamentale Reform, eine klein skalierte Form, um klimafreundliche Spiele zu garantieren. George Eddy, der auch so was wie ein Olympia-Botschafter ist, sagt: „Die Organisatoren versuchen, die ökologischsten Spiele aller Zeiten hinzubekommen.“ Den CO2-Ausstoß wollen sie im Vergleich zu Rio de Janeiro (3.6 Millionen Tonnen) mehr als halbieren (1,5 Millionen Tonnen). Die meisten Sportstätten stehen bereits. Die neue Multifunktionshalle (circa 8000 Plätze) nutzt danach unter anderem das brandaktuelle Basketball-Projekt der Stadt, Paris Basketball, das in die Euroleague drängt. Unterkünfte für Athleten und Journalisten gehen an Studenten. „Sie investieren in die Zukunft“, findet George Eddy.

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