Nicht denken, einfach machen

von Redaktion

Das Risiko fährt bei Snowboarder Timm Schröder immer mit – dennoch liebt er seinen Sport

VON THOMAS JENSEN

München – Wenn Timm Schröder versucht, „eins zu werden mit dem Moment“, sieht es so aus, als umarme er den Moment. Er streckt die Arme aus, dann führt er sie am Körper seitlich nach oben. Ein gelbes Männchen auf einem Grat in über 3000 Metern Höhe eingerahmt von Felszacken. „Nicht denken, machen“, will er in den nächsten Sekunden. Er führt die Hände vor der Brust zusammen, dann springt er mit seinem Snowboard in den unpräparierten Hang.

Seit zehn Jahren macht der Sportler aus Reichersbeuern das. Freeride Contests fahren. Es waren Jahre, in denen er sich ein Leben um seine Leidenschaft, das Snowboarden, aufbaute. Aber auch mit Enttäuschungen und Verletzungen umgehen musste. Und dem Verlust zweier Freunde, die tödlich verunglückten.

Auch sie waren in seinen Gedanken, als er vergangenen Samstag am Ziel eines Traumes angekommen war. Er startete auf dem ersten Saisonwettbewerb der Freeride World Tour in den Walliser Alpen am Petit Bec. Das eins mit dem Moment werden hat „gut funktioniert“, beurteilt der 26-Jährige im Gespräch mit unserer Zeitung. Dritter wurde Schröder bei seinem Debüt in der Eliteliga der Freerider, in der die Sportler von Kampfrichtern nach ihrer Linienwahl im Hang, der Kontrolle, den Tricks, der Technik und danach, wie flüssig alles vorgetragen wird, bewertet werden.

Überrascht von diesem starken Einstand wirkt Schröder nicht. „So ready für ganze das wie jetzt habe ich mich noch nie gefühlt“, sagt er. Seit 2019 scheiterte er meist sehr knapp daran, sich über die Challenger-Serie für die FWT zu qualifizieren. Im Herbst 2021 brach er sich bei einem Sturz die Hüfte. Erst ein Jahr später konnte er wieder so boarden wie zuvor. Rückblickend ein entscheidender Rückschlag. „Danach habe ich so viel Arbeit in mich selbst und physisches Training gesteckt. Dadurch hatte ich vor letzter Saison gar keine Sorgen, dass es wieder nicht klappen könnte“, beschreibt er den Effekt.

Das Selbstvertrauen hat der gebürtige Tegernseer, der inzwischen in Innsbruck lebt, mit in die neue Saison mitgenommen: „Ich habe nicht das Gefühl, dass ich mein Level groß anheben muss. Und war so auch am Wochenende relativ gechillt.“ So entspannt, dass es ihn beinahe verunsicherte. Als die anderen Fahrer noch lange nicht fertig waren zu „scopen“, also mit Hilfe des Fernglases und digitaler Karten ihre Linie im Hang zu suchen, stand sein Plan längst. Am Freitagabend unterhielt er sich mit dem Österreicher Vallentin Rainer, Champion der Vorsaison. „Er meinte er sei mega nervös. Das hat mir dann das Gefühl gegeben, viel zu wenig nervös zu sein“, erzählt Schröder. Glücklicherweise eine unbegründete Sorge.

Anders verhält es sich angesichts des Risikos, das am Arbeitsplatz Hochgebirge stets existiert. Wie tragisch die Suche nach grandiosen Powderschwüngen, spektakulären Tricks und hochauflösenden Actionaufnahmen enden kann, hat Schröder im nahen Umfeld mitbekommen. Im Januar 2023 verunglückte der österreichische Freeskier Christoph Schöfegger, mit dem er befreundet war, in einer Lawine in Japan. Im April wurden zwei Snowboarderinnen während eines Challenger-Contests in Verbier, bei dem er selbst auch teilnahm, verschüttet. Beide überlebten. Und schon vor einigen Jahren war Schröders bester Freund Henry Schreiber bei einem Motorradunfall gestorben. „Wenn so etwas passiert, lässt es das Risiko persönlicher und intimer werden“, sagt Schröder: „Das ist anders, als wenn man es nur in der Zeitung liest oder so.“ Seine Leidenschaft aufzugeben, daran habe er trotzdem nie gedacht. „Beides waren lebenserfüllte Menschen“, erzählt er über Schreiber und Schöfegger: „Sicher tut man ihnen keinen Gefallen, wenn man sagt: Ich höre jetzt auf Risiko einzugehen.“

Stattdessen gehe es darum, die „Warnungen richtig zu verstehen“ und mit den Verlusten umzugehen. Den Tod Schreibers hat Schröder – der wie viele Extremsportler neben Wettkämpfen Geld vor oder als Filmemacher hinter der Kamera verdient – visuell verarbeitet. „Stoke“ heißt der 25-minütige dem Freund gewidmete Film, der online abrufbar ist. In Sportarten wie Freeriden oder Surfen beschreibt stoke das ersehnte Gefühl, erfüllt zu sein von seiner Leidenschaft. Über den Dingen zu schweben. Eins zu werden mit dem Moment. Wie es Schröder am Wochenende gelungen ist: „Ich habe die Glückwünsche von so vielen Menschen gespürt, als ich da oben war. Und ich habe gemerkt, dass die beiden auch da sind und sich freuen, dass ich endlich dort bin, wo ich so lange hinwollte.“

Der nächste Halt der FWT ist zwischen dem 14. und 20. Februar in Kanada. Fährt er weiter so stark, wird er noch für mehr Freude sorgen.

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