„Selten hat mich ein Tod so beschäftigt“

von Redaktion

Breitner, Rummenigge und Hoeneß über den Verlust ihres Freundes Franz Beckenbauer

München – Uli Hoeneß (72), Paul Breitner (72) und Karl-Heinz Rummenigge (68) vermissen Franz Beckenbauer (78 †). Vor knapp einem Monat war ihr Kumpel, und die Bayern-Legende schlechthin, gestorben. „Ich ertappe mich dabei, dass ich sehr oft an ihn denke. Selten hat mich ein Tod von einem Freund so beschäftigt wie der von Franz, weil er für uns alle so viel gegeben hat, für diesen Verein, den wir alle lieben“, sagt Hoeneß und erinnert sich mit seinen früheren Teamkollegen im Interview mit dem clubeigenen Magazin „51“ an den Kaiser. Unsere Zeitung druckt Auszüge daraus.

Die Todesnachricht und letzte Besuche

Hoeneß: Ich werde nie vergessen, wie mein Telefon klingelte. Heidi Beckenbauer war dran, um es mir mitzuteilen, und dann habe ich gesagt: „Mein Beileid, aber ich kann jetzt leider nicht weitersprechen. Ich rufe dich morgen zurück.“ Wir wussten zwar alle, dass es um Franz nicht gut stand, aber dass es dann so schnell ging, war ein furchtbarer Schock. Rummenigge: Wir drei haben ihn regelmäßig in Salzburg besucht, mit ihm gegessen und über alte Zeiten gesprochen. Man hat immer das Blitzen in seinen Augen gesehen, es hat ihm gutgetan. Eigentlich hatten wir im Herbst wieder zu ihm gewollt, aber leider ging es da schon nicht mehr. Als dann der Moment kam … puh … das zieht einem den Boden weg. Wir hätten uns gerne noch von ihm verabschieden wollen, aber leider ist uns da am Ende die Zeit davongelaufen. Breitner: Als wir das letzte Mal bei ihm waren, hatten wir gehofft, dass wir diese Besuche schon noch ein paarmal weiterführen werden. Es sollte nicht sein. Franz hinterlässt eine Leere, die werden wir immer spüren. Es gibt den Spruch, du sollst über Verstorbene nichts Schlechtes sagen – uns würde sowieso nichts einfallen.

Starschnitt im Kinderzimmer

Rummenigge: Das war früher ein Muss. Jeden Montag habe ich den „kicker“ gekauft, dann gab’s wieder einen Teil von ihm. Linker Fuß, rechter Fuß, Oberschenkel und so weiter. Mithilfe meines Vaters habe ich alles zusammengeklebt. Gerd Müller hatte ich auch – das war’s. Es gab damals auch noch relativ große Dortmunder, aber die haben mich nicht interessiert (lacht).

Trainingsfleiß und Ausdauerläufe

Rummenigge: Am Anfang jeder Saison hatten wir immer Cooper-Test: In zwölf Minuten mindestens 2.800 Meter laufen. Für Jupp Kapellmann brauchten wir ein Fernrohr, der schaffte 3.600. Gerd Müller war nach 1.800 Metern reif für die Sauerstoffflasche, und Franz hat immer versucht, ihn mitzuziehen. Franz war topfit, kein Milligramm Übergewicht, das kam nicht von ungefähr, er war extrem professionell. Ich muss zu Uli ergänzen, dass er aus Höflichkeit der Letzte in der Kabine war: Er hat immer gewartet, bis alle anderen massiert waren.

Beinschüsse und die Duelle Jung gegen Alt

Hoeneß: Man durfte viele Dinge mit ihm machen – nur keinen Beinschuss! Charly Mrosko hat das mal versucht … Beim zweiten Mal lag er auf der Aschenbahn, mit Katsche Schwarzenbecks Hilfe (lacht). Wir waren damals ja die jüngere Generation. Die Älteren waren Sepp Maier, Bulle Roth, Katsche Schwarzenbeck. Udo Lattek hat meist Jung gegen Alt spielen lassen. Und das Schlimme war, dass die Alten immer gewinnen wollten. Wenn wir geführt haben, konnte ein Training zwei Stunden dauern, Udo hat sich nicht getraut abzubrechen, wenn die hinten lagen. Das war ärgerlich für uns, aber wir wollten auch nicht absichtlich Tore reinlassen. Gerd war der Schlimmste, der konnte überhaupt nicht verlieren. Aber der Franz war genauso ehrgeizig. An Franz vorbeizukommen, auch an Bulle Roth, das war nicht so einfach. Ich habe in der Bundesliga ohne Schienbeinschützer gespielt – und im Training mit.

Der berühmte Moment nach dem WM-Finale 1990

Breitner: Als Sportler erlebst du im absoluten Erfolg Glücksmomente: „Baff!“ Ich habe da ein Lieblingswort: Verzückungsspitzen. Wenn Usain Bolt als Erster durchs Ziel läuft oder ein Skifahrer unten die „1“ auf der Anzeige aufleuchten sieht und weiß, er ist Olympiasieger. Oder wenn der Schiedsrichter das WM-Finale abpfeift – ich wäre vor Freude fast explodiert. Das dauert 15, 20 Sekunden, dann wird dir klar, was du gerade erreicht hast. So habe ich den Franz damals auf dem Rasen wahrgenommen. Er hat den Triumph bewusst der Mannschaft überlassen und alles um sich herum aufgesaugt, um es später in seinem Kopf abrufen zu können. Ich denke, das war einer der perfekten Momente seines Lebens für ihn. Rummenigge: Vier Tage nach dem Finale war ich mit ihm bei einem Benefizspiel: Die Leute hätten sich aus Dankbarkeit am liebsten vor ihm auf die Knie geworfen. Da dachte ich, jetzt kann er endgültig übers Wasser laufen (schmunzelt).

Akribie als Trainer

Hoeneß: Als wir ihn im Januar 1994 gebeten hatten, dass er die Mannschaft übernimmt, hatten wir keine Ahnung, ob er auch als Vereinstrainer funktioniert. Franz wohnte damals in Kitzbühel und war immer um halb acht Uhr morgens der Erste an der Säbener Straße. Dann war er bis sieben Uhr abends am Gelände und hat sich selbst bei Heimspielen gegen kleinere Teams den Gegner drei-, viermal auf Videokassette angesehen, wie die Ecken schießen und Standards ausführen. Da stand ich teilweise daneben und dachte mir: Ein Franz Beckenbauer, der den Fußball so beherrscht hat wie kaum ein anderer, schaut sich hier viermal am Stück ein Spiel der Mannschaft XY an. Diese Akribie fand ich unglaublich.

Schafkopfen und Brotzeit

Rummenigge: Ich habe seine lässige, lockere Art geliebt. In Präsidiumssitzungen konnte es heiß hergehen. Aber Franz war es wichtig, dass wir am Ende alle geblieben sind. Dann gab es Brotzeit und Weißbier, die Schafkopfkarten wurden ausgepackt und wir haben viel gelacht. Als man nach Hause fuhr, war die Stimmung wieder gut. Dafür hatte Franz ein goldenes Händchen.

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