Vor einer Woche wurde Kentin Mahé (32) mit Frankreich Handball-Europameister. Unsere Zeitung hat mit ihm über die immer wieder verblüffende Stärke von „Les Bleus“ und seine mögliche Rückkehr nach Deutschland gesprochen.
Herr Mahé, das EM-Finale in Köln ist erst gut eine Woche her. Aber am Wochenende waren Sie bereits wieder in der ungarischen Liga im Einsatz. Hatten Sie Gelegenheit, den Titel zu feiern?
Das ist eine totale Katastrophe. Wobei es mir gar nicht ums Feiern geht. Man würde die ganzen Eindrücke gerne mit der Familie, mit den Eltern und den Schwiegereltern verarbeiten genießen. Aber das geht nicht, weil man schon zurück zum Verein muss. Das ist immer das Gleiche, ganz schlecht.
Wie schwer ist es, einen Erfolg unter diesen Umständen zu verstehen?
Sehr schwer. Das hängt total von den Umständen ab. Wie lange hat man danach Zeit? Wie lange hat man sich vorbereitet? Die Olympischen Spiele zum Beispiel sind etwas Besonderes. Aber gut, ein Olympiasieg wie für uns in Tokio ist ein Lebenstraum. Wobei die EM für mich schon einen sehr großen Stellenwert hat. Das ist ein Titel, der mir mit der Nationalmannschaft noch gefehlt hat. Und wenn man dann noch viel dazu beigetragen hat, dann ist es natürlich umso schöner.
Und das haben Sie – Sie galten als einer der Schlüsselspieler.
Wahrscheinlich. Aber nicht immer. In manchen Spielen war ich ein Führungsspieler, in anderen nicht. Wir haben wahnsinnig viele starke Spielerpersönlichkeiten in der Mannschaft. Da können viele Verantwortung übernehmen.
Und das gilt seit Langem. Seit vielen Jahren wartet man auf einen Leistungsknick. Der nicht kommt.
Ich glaube, dass viel am Charakter der Mannschaft liegt. Am Charakter der Spieler. Wir wollen immer mehr. Und wir bleiben ruhig, auch gegen die besten Mannschaften. gegen Schweden oder auch gegen Dänemark, das jeder vorher als klaren Sieger gesehen hat. Wir sind auch in schwierigen Situationen ruhig geblieben. Und das hat sich ausgezahlt.
Ruhig bleiben heißt…?
Es geht um das Selbstverständnis. Wir wissen, welche Entscheidungen wir zu treffen haben. Wir wissen genau, dass wir nicht krampfhaft etwas Neues versuchen zu dürfen. Sondern einfach unser Spiel spielen müssen. Wir kennen unsere Stärken. Das ist etwas, was natürlich mit den Erfolgen gewachsen ist. Und es pflanzt sich fort. Als wir zum Beispiel für die goldene Generation der 2000er-Jahre in die Mannschaft gerückt sind, wollten wir alle noch besser sein als sie.
Das ist die andere Seite, der Nachschub an neuen Topspielern wie aktuell Elohim Prandi. Was macht das französische Ausbildungssystem besser?
Es ist anders und es ist sehr gut. Wobei ich ehrlich gesagt nicht so genau sagen kann, was anders ist. Denn ich bin selbst nicht durch das System gelaufen.
Sie zogen früh nach Dormagen…
Genau. Mein Vater Pascal, der ja auch ein erfolgreicher Handballer war, hatte dort einen Vertrag unterschrieben. Deshalb ist unsere Familie nach Dormagen gezogen. Da war ich gerade neun …
… und sie sind 19 Jahre im deutschen Handball geblieben.
Deutschland hat mir wahnsinnig viel gegeben. Meine Kinder sind in Deutschland geboren, meine Frau ist Deutsche. Deshalb war das Turnier gerade in Deutschland auch etwas Besonderes für mich. Allerdings sind Spiele gegen Deutschland die, die ich unbedingt gewinnen will (lacht).
Es fällt auf, dass außer Torhüter Samir Bellahcene (Kiel) kein französischer Nationalspieler mehr in Deutschland spielt. Auch sie spielen noch in Veszprém. Hat die Bundesliga nicht mehr die Attraktivität?
Naja, einmal sind da die Gehälter, die bei den großen Vereinen wie Barcelona, Kielce oder auch Veszprém bezahlt werden, auch nicht so schlecht. Und dazu kommt, dass der Druck kleiner ist. In Deutschland bist du jede Woche voll gefordert. Es gibt auch hier in Ungarn einige sehr gute Mannschaften, aber es ist anders. Auch das System ist anders, es wird mit Playoffs gespielt. Da kannst du die Kräfte anders einteilen. Da ist die Lebensqualität schon eine andere. Und sagen wir mal so: Ich lebe hier in einem Haus mit Blick auf den Plattensee. Es gibt Schlechteres.
Ein Vorzug, den Sie allerdings aufgeben. Ihr Abschied aus Ungarn ist beschlossene Sache. Die Gerüchte bringen Sie mit Gummersbach in Verbindung…
Ich werde nach Saisonende wechseln. Und Sie können sicher sein: ich werde diesen Blick vermissen. Wohin es geht, dazu kann ich allerdings noch nichts sagen.
Vorher haben Sie ohnehin noch einen größeren Termin – die olympischen Spiele in Ihrer Geburtsstadt Paris. Noch ein höheres Lebensziel?
Natürlich, das ist unglaublich. Und es hat ja auch noch niemand die EM und die Olympischen Spiele in einem Jahr gewonnen. Das war von Anfang an unser klares, großes Ziel. Überhaupt wollen wir so oft wie möglich die Dänen vom Thron weghalten.
Und bis zu den Spielen müssen Sie den ewigen Nikola Karabatic in Watte packen.
Ach, um den muss man sich keine Sorgen machen. Er ist nicht kaputt zu kriegen.
Interview: Patrick Reichelt