Der Himmel ist ihre Grenze

von Redaktion

räumt bei Jugend-Olympia ab

VON LENNART GLASER

München – Es bleibt ihr gar nicht genug Zeit, um abzuheben, obwohl sie eigentlich alle Gründe dafür hätte: Junioren-Weltmeisterin, Doppel-Bronze bei den Olympischen Jugendspielen, deutsche Nachwuchshoffnung für die Winterspiele 2026 in Italien. Und das alles mit gerade einmal 17 Jahren. Für Muriel Mohr läuft, oder besser gesagt: fährt und fliegt auf ihren Freestyle-Skiern gerade alles wie am Schnürchen. Zumindest beinahe. Denn zwischen Weltcups und dem Olympia-Kader des Deutschen Skiverbands lauert auf die Aschheimerin noch die größte Herausforderung der Saison: das Abitur.

Und so steht an diesem Samstagmorgen eigentlich Lernen auf dem Programm: Biologie statt Big Air, Ethik statt Edelmetall. Ein Wermutstropfen in bewegten Zeiten im Leben des Teenagers, das vor wenigen Tagen noch ganz anders aussah. „Mir ist es ja auch wichtig“, sagt Mohr im Hinblick auf die Prüfungen. „Die Jugend-Olympiade war das große Event des Winters, jetzt liegt der Fokus eben auf der Schule.“

Es fasst gut die zwei Welten zusammen, in denen Mohr sich gerade bewegt und zwischen denen sie balancieren muss, auf einem Drahtseil, das bei weitem nicht so beständig ist wie die Geländer, über die sie bei ihren Abfahrten sonst so gleitet. Ende Januar noch trat sie in Südkorea zum Wettkampf bei den Youth Olympic Games an, neben ihr die besten Nachwuchsfahrerinnen der Welt, während ihre Freundinnen und Freunde in Ismaning die Schulbank drückten. Tagsüber Training, abends Lernen hieß es dann, viel von dem Stoff, den sie verpasste, brachte sie sich einfach selbst bei. Und das, obwohl der Fokus eigentlich ganz woanders lag, auf dem Kräftemessen mit der Weltspitze, mit den Olympionikinnen von morgen, Muriel Mohr mittendrin. Wer meint, all das könnte eine junge Athletin überfordern, der täuscht sich in ihr gewaltig.

Zwei Medaillen sprangen am Ende heraus, Bronze im Slopestyle-Wettbewerb genauso wie im Big Air, Mohr war über sich hinausgewachsen. „Dass ich ins Finale einziehe, hätte ich schon erwartet, aber dass ich gleich zwei Medaillen hole, eher weniger“, resümiert sie ihre Leistung in dem Land, das sie so herzlich empfangen hat. Die Leute seien unfassbar lieb gewesen, die Venue sehr gut aufgebaut, da habe sie so richtig gemerkt, „dass das eine große Veranstaltung ist“.

Nicht zu groß für die 17-Jährige, die zunächst im Slopestyle antrat. Dabei fahren die Starterinnen mit ihren Skiern Aeinen Parcours aus Rails, also Geländern, die sie entlanggleiten können, und Sprungschanzen, auf denen sie Tricks und Drehungen zeigen können. Für Mohr die Parade-Disziplin, erst im vergangenen Jahr wurde sie Junioren-Weltmeisterin. Dass sie bei den olympischen Jugendspielen trotz der Vorschusslorbeeren schließlich Dritte wurde, war für die Freude kein Dämpfer: „Wir sind auf der Welt so sechs, sieben Mädels, die alle etwa auf dem gleichen Level sind. Mal ist die eine besser, mal die andere.“

Immerhin: Der Schwung reichte auch für die zweite Disziplin, bei der Mohr in Südkorea antrat, den Big Air. Dabei zeigen die Starterinnen nur einen Sprung über eine große Schanze, der Name ist Programm. Sie sei kaum nervös gewesen, erzählt Mohr, ohnehin sei sie eher als Außenseiterin an den Start gegangen. Auch dieser Rolle war sie gewachsen.

Ihr Geheimnis: die Zahl fünf, die Lieblingszahl von Muriel Mohr. „Vor jedem Lauf sage ich fünf Mal: Ich schaffe das.“ In Südkorea halt ihr dieses Ritual gleich zweimal geholfen. Aber nicht nur am Auslauf der Rampe war die Freude nach ihren Gold-Läufen riesig, auch aus Mohrs anderer Welt kamen Glückwünsche, eine Lehrerin habe ihr immer direkt nach den Wettkämpfen gratuliert. Die Unterstützung seitens der Schule ist groß.

Zurück in Deutschland bleibt ihr kaum Zeit, ihre Erfolge zu verarbeiten. Bis zum Abitur im Frühjahr will sie in der Schule Vollgas geben, erzählt sie, das Training bringt den Ausgleich. Dienstags Trampolin, mittwochs Tennis, donnerstags Krafteinheiten. Dazu am Wochenende auf die Piste, in den Ferien sowieso, auch ein Worldcup soll diese Saison noch drin sein. „Eigentlich ist Sport mein Leben“, sagt sie. Und der passende Lebenstraum dazu? Eine Teilnahme bei olympischen Spielen. Schon in zwei Jahren könnte der bereits erfüllt sein, die Chancen stehen gut.

Bis dahin wird sie aber weiterhin den Spagat zwischen den Welten meistern müssen. Nach dem Abitur will sie ihr Studium beginnen, Geografie, das Thema Nachhaltigkeit beschäftigt sie sehr. „Ich kann nicht mein ganzes Leben davon profitieren, dass ich jetzt ein bisschen Skifahren war“, sagt sie. „Für mich ist wichtig, dass ich weder meine Karriere noch meine Ausbildung vernachlässige“.

Eine große Herausforderung. Aber die Balance halten, das kann Muriel Mohr ja. Das hat sie in den letzten Wochen zu Genüge unter Beweis gestellt.

Artikel 1 von 11