„Ich hatte nie Autoritätsprobleme“

von Redaktion

Schwedens Münchner Erfolgstrainer Johannes Lukas (30) über Nähe und Distanz zum Team als junger Boss

2015 begann Johannes Lukas sein Engagement bei Schwedens Biathleten, damals unter Wolfgang Pichler. „Als ob ich mittlerweile in einem anderen Verband arbeite“, beschreibt er die Entwicklung, an der der 30-jährige Münchner seitdem. Er selbst ist daran mit den Erfolgen der vergangenen Jahren nicht unschuldig. Vor der WM in Nove Mesto hat er mit unserer Zeitung gesprochen.

Herr Lukas, vor der WM 2023 sprachen Sie von der „weniger-ist-mehr-Variante“, was die Vorbereitung angeht. Welche Variante war es dieses Mal?

Die gleiche. Wir haben lange überlegt. Aber da alle vergangenes Jahr so happy waren, es zuhause etwas entspannter anzugehen als bei einer Vorbereitung weiter weg, haben wir es wieder so gemacht. Abgesehen von den Einheiten waren die Athleten daheim, haben das normale Leben genossen und sich nicht verrückt gemacht. Einen Abend hatten wir aber zusammen mit Teambuilding und mit einer Motivationspräsentation.

Wie hart war es, das Team auszuwählen?

Schon schwer, da uns ein bisschen die Konstanz gefehlt hat diese Saison. Immer wieder waren gute Rennen dabei, dann aber wieder welche, die nicht gut genug waren. Auch im IBU-Cup oder zuletzt bei der EM hat es nicht gute Ergebnisse gesprudelt. Da haben sie es uns im negativen Sinn nicht leicht gemacht, wen wir als Reserve mitnehmen, wer in der Staffeln ein Ersatz sein könnte.

Sie sind immer noch jung. Fühlen Sie sich bei schwierigen Entscheidungen schon routiniert?

Voll routiniert. Seit Olympia in Peking ist das so, ich glaube schwieriger kann eine Situation nicht mehr werden. Ich musste mich für die Staffel zwischen Mona Brorsson und Anna Magnusson entscheiden, beide waren in diesem Moment weltklasse. Die Entscheidung fiel dann über kleine Einheiten und auch Bauchgefühl gegen Anna Magnusson, obwohl sie als Siebte im Sprint das bessere Ergebnis bei den Spielen bisher hatte.

Die Staffel holte Gold…

Klar, im Endeffekt alles richtig gemacht. Aber das waren schon schlaflose Nächte. Aber auch bei dieser WM, welche vier Frauen im Sprint laufen, welche in der Staffel, könnte es wieder harte Entscheidungen geben.

Sind solche Absage-Gespräche knapp oder ausführlich?

Das ist zweigeteilt. Das erste Gespräch ist sehr knapp. Da ist der Sportler so niedergeschlagen, dass er kaum aufnahmefähig ist und auch gar nichts mehr hören will. Den Raum gibt man auch, aber mir ist es dann schon wichtig, am Abend oder nächsten Tag sich wieder mit Blick nach vorne zusammenzusetzen. Dass es auch Thema ist, wie es weiter geht.

Fallen derartige Entscheidungen leichter, durch mehr Autorität, die Sie durch die Erfolge erlangt haben?

Das ist gleich geblieben. Autoritätsprobleme habe ich nie gehabt. Die Athleten wissen, wie ich arbeite, wir können einen Haufen Spaß im Training haben, aber wenn es bei Einheiten drauf ankommt, wissen sie auch, dass man nicht spaßen sollte mit mir (lacht). Diese Mischung funktioniert gut, genau wie die gewisse Distanz, die ich trotz meines Alters zu ihnen bewahre. Wenn man zu sehr Kumpel wird, würden solche Entscheidungen noch schwerer werden.

Das Thema Nähe und Distanz sind Sie also aktiv angegangen?

Definitiv. Ich war 22 als ich hier angefangen habe, 25 als ich Cheftrainer wurde. Manche Athleten waren älter, und dann geht es schnell mal, dass man abends zum Beispiel im Trainingslager private Themen bespricht. Da habe ich mir schon genau überlegt, wo die Grenze ist. Auch nach der Saison etwa beim Abschlussabend wenn gefeiert wird. Klar ist man dabei, aber irgendwann ist es auch Zeit, den Abend den Athleten zu überlassen. Oder Analysen nach den Trainings – die halte ich gezielt in Büroräumen ab und nicht draußen bei einem schönen Kaffee.

Wie akribisch war die Vorbereitung auf Ihre Auszeichnung als Schwedens Trainer des Jahres vor kurzem?

(Lacht) Auch da wächst man rein. Seien es Medientermine, eine Gala oder ein roter Teppich. Aber das war schon einzigartig, der Moment da hochzugehen, und dann eine Dankesrede vor ein paar tausend Leuten zu halten. Nervös war ich schon auch, neben allem Stolz und Dankbarkeit. Aber ich habe das nicht als Belohnung für ein Jahr gesehen, sondern für den Weg, den wir in den letzten Jahren eingeschlagen haben, der mit Risiken verbunden war.

Etwa der Verzicht auf eine WM-Vorbereitung.

Genau, letztes Jahr waren wir das einzige Team, das keine wirkliche Vorbereitung hatte. Viele sagen, dass sei das Wichtigste, allein wegen des Teambuildings. Aber man kann sich trauen, etwas anders zu machen – muss dann aber bereit sein, Kritik einzustecken, wenn es nicht läuft.

Die dürfte es angesichts der Erfolge weniger gegeben haben. Gibt es mehr Aufmerksamkeit in Schweden für Biathlon?

In allen Bereichen. Nach den TV-Quoten sind wir inzwischen Wintersport Nummer Eins. Nach der Sponsorenlage und der Finanzierung ist es, als ob ich mittlerweile in einem anderen Verband arbeite. Früher haben wir um jeden Euro, um jeden Sponsor und um jedes Podest gekämpft. Dafür gibt es jetzt auch mehr Erwartungen. Wichtig ist, dass wir die Entwicklung nicht als selbstverständlich erachten. Manche Athleten sind so lange dabei wie ich, die wissen, wie es früher war.

Spüren Sie das auch persönlich?

Es ist angenehm in Schweden, diesen Star-Hype gibt es nicht, dass man ständig angesprochen oder um Selfies gebeten wird. Aber Leute, die relativ nett grüßen oder sagen: „hey Glückwunsch“, oder „wow, ich bin begeistert von eurem Job“, oder sich für die Unterhaltung bedanken, das gibt es schon.

Interview: Thomas Jensen

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