„Leverkusen spielt sexy“

von Redaktion

Fußball-Genießer Erik Meijer über das Bundesliga-Topduell Bayer gegen Bayern

München – Spannung an der Tabellenspitze. Die Superdribbler Wirtz und Musiala. Und das Trainer-Duell zwischen Tuchel und Alonso. Erik Meijer (54) freut sich auf das Topspiel. Warum er dabei an Spülmaschinen denken muss, verrät der Ex-Profi und TV-Experte im Interview mit unserer Zeitung.

Herr Meijer, vor der Saison haben Sie in der Abschlusstabelle auf Bayern vor Leverkusen getippt – bleibt es dabei?

Ich habe die Tabelle getippt, als ich gerade gehört hatte, dass Harry Kane nach München kommt. Ich war der festen Überzeugung, dass er das Puzzleteil ist, das dem FC Bayern gefehlt hat. Bisher macht er es ja echt fantastisch. Allerdings ist die Entwicklung von Leverkusen schon explosiv gewesen. Immerhin habe ich sie schon weit oben gesehen, ich hatte einen guten Riecher (lacht).

Ist das Topspiel am 21. Spieltag schon das Spiel um die Meisterschaft?

Um das pauschal zu sagen, ist es zu früh, finde ich. Spielen wir mal beide Szenarien durch: Wenn Bayern an Leverkusen vorbeizieht, wäre das der erste Rückschlag für Leverkusen – dann wird es spannend, wie sie damit umgehen. Aber wenn Leverkusen wegzieht, wird die Brust nur breiter. Und dann wird es extrem schwierig für Bayern, das noch aufzuholen. Das weiß man auch in München.

Man hat das Gefühl, Leverkusen gibt nie auf, glaubt an die eigene Stärke – wie im Pokal-Halbfinale gegen Stuttgart gesehen.

Jeder spricht darüber – und das gibt noch mal einen zusätzlichen Schub. Wenn dann noch so ein Spiel wie gegen Stuttgart dazu kommt – mit einem Last-Minute-Siegtreffer nach zwei Rückständen –, setzt das enorm viel Energie frei. Mit dieser Energie müssen die Bayern jetzt klarkommen.

Sie haben den Leverkusener Fußball zuletzt als „sexy“ bezeichnet. Warum?

Ich kann es entweder komplex beschreiben – oder aber benennen, wie es ist. Ich sehe schönen Fußball, sehr gepflegt, mit Spielern, die alle den Ball lieben, technisch top, schnell und kaltschnäuzig sind. Das gefällt mir – das finde ich sexy.

Und es wirkt attraktiver als das, was Bayern aktuell anbietet?

Das finde ich schon. Damit will ich Bayern nicht zu nahe treten, aber: Leverkusen spielt den schöneren Fußball. Allerdings ist es einfach unglaublich, dass du in Leverkusen die beste Saison deines Lebens spielst – und beim Blick über die rechte Schulter den grinsenden Thomas Müller siehst, der nur zwei Punkte hinter dir ist. Die Punktausbeute spricht schon auch stark für die Qualität von Bayern München. Sie müssen sich zwar Mühe geben, um die Spiele zu gewinnen, aber sie haben ein unheimlich hohes Niveau.

Und sie sind dafür bekannt, gerade in diesen wichtigen Spielen da zu sein.

Ich sage immer: Gewinnen musst du können. Bayern München hat schon sehr Vieles gewonnen, Leverkusen nicht. In dieser Erfahrung liegt der Unterschied. Leverkusen hat nicht umsonst jetzt Hofmann, Xhaka und Andrich in den eigenen Reihen, dazu Alonso als erfahrenen Trainer. Das hat die Mannschaft gebraucht – neben all den jungen Talenten.

Ist das Spiel eine Reife- prüfung für Leverkusen?

Ich würde es mal als Zwischen-Examen beschreiben, mit viel Aussagekraft (lacht). Man wird sehen: Wie gehen sie mit Druck um? Wie mit der Favoritenrolle? Ich vermute sogar, dass Bayern Leverkusen den Ball gönnt und eher reagieren wird. Das spielt ihnen auch in die Karten, weil sie schnell und gut umschalten können. Wie ich werden sie bei Stuttgart einige Dinge gesehen haben, die Leverkusen wehgetan haben.

Was wird das Spiel taktisch entscheiden?

Leverkusen wird sehr offensiv spielen, mit viel Spielfreude nach vorne. Aber sie vergessen durch all die Euphorie gerne mal, dass man hinten die Bude zumachen muss. Wenn der Gegner auch schnelle Typen hat, kann man da profitieren – wie Stuttgart. Oder man macht es wie beim zweiten Tor von Stuttgart: Wenn man mit sehr viel Risiko hinten rausspielt, geht es auch mal in die Hose. Das hat Bayern gegen Werder auch erfahren müssen.

Es kommt also auf die schnellen Außen bei Bayern an?

Allgemein auf schnelles Umschalten. Harry Kane hat bei Tottenham ja nichts anderes gemacht, mit Son um sich herum. Jetzt werden es Thomas Müller, Leroy Sané, Jamal Musiala sein. Da steht so viel Qualität auf dem Platz, da kann unsere Bundesliga nur stolz sein. Und auch darauf, dass es nun einen echten Bayern-Konkurrenten gibt. Ich verspüre eine Riesen-Vorfreude.

Wer wird das Spiel mehr prägen: Wirtz oder Musiala?

Beide! Und allein bei der Frage freue ich mich schon auf die EM. Wenn man die beiden gut in eine Mannschaft integriert, ist da so viel Qualität. Die Jungs haben keine Angst! Dafür gehst du ins Stadion, dafür kauft man seinen Kindern das Trikot. Mich freut es besonders, dass die beiden auch noch nette Menschen sind und keine Roboter. Die machen das, was sie auf dem kleinen Platz gelernt haben, jetzt als Profi.

Thomas Tuchel musste schon 13 Mal die Abwehr umstellen, nun fehlt Alphonso Davies.

Das ist extrem bitter. Ausgerechnet gegen den stärksten Gegner auf den schnellsten Mann verzichten zu müssen, ist natürlich nicht optimal. Frimpong wird nicht sagen: Ich laufe jetzt mal im dritten und nicht im fünften Gang. Für mich ist die lange Verletztenliste auch der Grund dafür, dass Bayern so eine schwierige Saison spielt. Sie haben so viele Verletzte, müssen die Stammelf immer wieder ändern. Es ist nur logisch, dass man dann keinen normalen Fußball spielen kann.

Für Sie sind die Diskussionen um fehlende spielerische Weiterentwicklung also übertrieben?

Tuchel musste schon oft reagieren, weil die Verletztenliste lang war. Aber woran wird ein Trainer gemessen? An Titeln! Das ist der Job! Das ist nicht anders als in der Industrie, wo man so viel Umsatz wie möglich machen will. Am Ende geht es nicht darum, wie man eine Spülmaschine verkauft, sondern dass man so viele wie möglich verkauft.

Sollten wir seine Arbeit also erst am Ende der Saison bewerten?

Für ein finales Fazit schon. Dass er kritisch beäugt wird als Bayern-Trainer, ist aber auch klar. Und dass er den Umgang mit den Medien auf seine eigene Art prägt, fällt natürlich jedem auf. Nicht jeder Mensch ist gleich.

Sie meinen: Er ist anders als Xavi Alonso.

Jeder Trainer macht es halt anders. Und dann hat man noch Didi (Hamann/d.Red.), der ab und zu dazwischenhaut (lacht).

Ihr Tipp?

Für mich ist Leverkusen in der Favoritenrolle, dazu spielen sie zu Hause, müssen nicht reisen, sind in ihrem Ablauf, ihrem Hotel, ihrem Zimmer. Also sage ich: 3:2. Ein Vorteil für Bayern könnte aber sein, dass Bayer das harte Spiel unter der Woche in den Knochen hat. Ich habe in der 80. Minute fünf, sechs Leute mit den Händen auf den Knien gesehen, die waren kaputt gegen Stuttgart. Jetzt liegt es an den Bayer-Tabletten – ob die wohl gut genug sind?! (lacht).

Interview: Hanna Raif

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