Hamburg – Kommt nun Steffen Baumgart? Übernimmt Raphael Wicky? Wird es Mister X? Sportchef Jonas Boldt ließ sich beim Poker um den Trainerposten des Hamburger SV nicht in die Karten gucken – und zog wenige Stunden nach der Entlassung von Tim Walter dann doch einen überraschenden Trumpf aus dem Ärmel: Merlin Polzin.
Der bisherige Co-Trainer soll den strauchelnden Hamburger SV wieder auf Kurs bringen. Zumindest vorerst. Im Auswärtsspiel bei Hansa Rostock am kommenden Samstag (13.00 Uhr/Sky) werde „hundertprozentig“ der 33-jährige Polzin auf der Bank sitzen. Weiterbeschäftigung ausdrücklich nicht ausgeschlossen.
„Er bekommt definitiv die Chance, aus voller Überzeugung“, sagte Boldt bei einer eilig anberaumten Pressekonferenz am Montag in Hamburg: „Wir wollen Stabilität reinbringen und dann in Ruhe schauen, wie es in der Konstellation oder dann vielleicht anderweitig weitergeht.“ Man werde, das betonte der Sportvorstand, jetzt „keinen 180-Grad-Wechsel vollziehen“.
Mögliche Namen wie Baumgart, die Wunschlösung vieler Fans, oder Wicky, den Schweizer Trainer-Shootingstar mit HSV-Vergangenheit, kommentierte Boldt am Montag nicht. „Natürlich kennen wir den Markt gut und wissen, was auf dem Markt ist und was wir wollen“, sagte Boldt. Man werde intern wie extern „weitere Gespräche führen“ und parallel überlegen, „welche Möglichkeiten in der Realität wirklich existieren, den HSV weiter nach vorne zu bringen und nicht, was irgendwo als Name rumgeistert und vielleicht gar nicht umsetzbar ist und am Ende vielleicht gar nicht passen könnten.“
Gänzlich unbeeindruckt von den vielen Spekulationen marschierte Polzin am Montagnachmittag um Punkt 15.00 Uhr auf den Trainingsplatz. Mit Taktiktafel in der Hand und Trillerpfeife um den Hals begann er sein ganz persönliches Abenteuer als Cheftrainer.
Polzin, der seit dreieinhalb Jahren zum Trainerteam der Hamburger gehört, bezeichnete Boldt als „ein großes Trainertalent, der Vieles mitbringt, auch wenn er in jungen Jahren vielleicht nicht die große Erfahrung aufweisen kann“. Boldt nahm aber auch „die Mannschaft in die Pflicht“. Im Fußball könne es „dann auch ganz schnell wieder in eine positive Richtung gehen“.
Rätselhafte Rückschläge, das Ziel Bundesliga erneut in großer Gefahr: Am Montagmorgen hatte der HSV auf den sportlichen Schlingerkurs der vergangenen Wochen reagiert und Walter drei Tage nach der 3:4-Niederlage gegen Hannover 96 freigestellt. Nach zuletzt drei Heimpleiten in Serie liegen die Hamburger momentan auf dem Relegationsrang, anvisiertes Saisonziel ist und bleibt im sechsten Anlauf die Bundesliga-Rückkehr.
„Wir haben die Gefahr gesehen, dass es ein Stück aus dem Ruder läuft“, begründete Boldt die Abkehr von seinem Trainer, den er im Sommer 2021 an die Elbe geholt hatte. Am Ende habe man „gemerkt, dass die Überzeugung nicht mehr da war, unsere Ziele zu schaffen. Da geht es um die Sache, nicht um Personen.“
Walter, der seit Frank Pagelsdorf zwischen 1997 und 2001 die längste Zeit auf dem HSV-Schleudersitz „aushielt“, wurde die Bundesliga-Rückkehr nicht mehr zugetraut. Der Badener hatte den erhofften Aufstieg zweimal in der Relegation verpasst. Nun wurde ihm die erneute Achterbahnfahrt zum Verhängnis. sid