München – Rund 50 Stunden, eine Auslauf-Runde und zwei Trainingseinheiten – mehr hatte Thomas Tuchel nicht zwischen der Ankunft aus Leverkusen in der Nacht zum Sonntag und dem Start des Mannschaftsbusses am Dienstagmittag in Richtung Flughafen. Und trotzdem war beim Abflug der Sondermaschine AZ8965 nach Rom allen Passagieren klar, was die Stunde geschlagen hat. Ein Sieg im Achtelfinal-Hinspiel bei Lazio Rom an diesem Mittwoch (21 Uhr, DAZN) ist Pflicht, um das leise Krisengerede an der Säbener Straße nach dem 0:3 bei Bayer nicht in absolute Alarmstimmung umschlagen zu lassen. Denn wäre der nächste Titel so früh akut gefährdet, kann – wie man hört – für nichts mehr garantiert werden.
„Die Niederlage in Leverkusen hängt natürlich noch nach, weil es ein ganz wichtiges Spiel war, weil wir eine schlechte Leistung geboten haben und klar verloren haben. Wir freuen uns aber jetzt, dass es gleich weitergeht. Ein wichtiges Spiel in Rom. Wir wollen uns anders präsentieren und das werden wir auch machen“, sagte Christoph Freund, bevor er den Flieger betrat.
„Verdaut haben wir das nicht, wenn man da so untergeht“, sagte Manuel Neuer am Dienstagabend in Rom über die Pleite im Topspiel. Besonders einer, der in Leverkusen blass blieb, soll nun wieder stärker eingebunden werden: „Harry muss von uns auch gefüttert werden. Wenn er in die Gefahrenzone gebracht wird, ist er ein Phänomen“, sagte Neuer über Topstürmer Kane.
Anderer Wettbewerb, andere Vorzeichen. Und tatsächlich zeigen die Bayern in der Champions League ja schon seit Monaten konstant bessere Leistungen als in der Bundesliga. Sechs Siege hat es in der perfekten Gruppenphase gegeben, dazu das vermeintlich leichte Los Lazio. Unter normalen Umständen würde man sagen: Kein Problem! Aber in Zeiten wie diesen, in denen der Trainer nicht aus seinen Spielern und die Spieler nicht aus ihrem Trainer schlau werden, ist halt leider wenig normal. Freund: „Natürlich wäre es das Schönste, dass wir ein richtig überzeugendes Auftreten haben und dann mit einem Sieg heimfahren. Aber wir nehmen auch einen richtig dreckigen Sieg.“
Die Anspannung war dem Reisetross anzusehen, denn jeder weiß, was Thomas Müller aussprach: „In der Gruppenphase geht es wieder bei null los.“ Wer den Henkelpott am Ende gewinnen will, „muss in der K.o.-Phase top sein“ – und genau das ist dem Rekordmeister seit dem letzten Triumph im Jahr 2020 nicht mehr allzu oft gelungen. In den vergangenen drei Jahren war jeweils im Viertelfinale Schluss, gegen Paris (2021), Villarreal (2022) und Manchester City (2023) hatte man das Nachsehen. Daher war man nach dem Umbruch in der Führungsetage wie auf der Trainerposition eigentlich mit dem Ziel in die Saison gestartet, wieder ein Favorit auf den Titel zu werden. Nicht unbedingt weniger wird der Druck durch die Tatsache, dass in der Liga die erste titellose Saison seit 2012 droht und der Pokalsieger zu 100 Prozent nicht aus München kommen wird. Hinzu kommt der Traum vom sich schließenden Kreis im Londoner Wembley-Stadion, wo am 1. Juni das Finale ansteht.
Sechs Partien sind bis dahin zu überstehen. Und glaubt man Matthijs de Ligt, wird schon im Römer Olympiastadion eine außergewöhnlich gute Leistung vonnöten sein, um gegen den Tabellenachten der Serie A zu bestehen. Der Abwehrspieler stellt sich auf ein „intensives Spiel mit und ohne Ball“ ein und sagt: „Wir wissen, dass Lazio 200 Prozent geben wird, also müssen wir bei 200 Prozent sein, um zu gewinnen.“ Im Vergleich zum offensiv wie defensiv desolaten Auftritt in Leverkusen ist somit eine Steigerung um mindestens 150 Prozent nötig.
Die Bayern wollen den Römern ihr Spiel aufzwängen – und sich nicht fremdbestimmen lassen. Es wird sich aber erst auf dem Feld zeigen, wie tief die Spuren sind, die der Trip nach Leverkusen hinterlassen hat. Es sei „wichtig, nicht komplett in Schutt und Asche zu gehen“, betonte Tuchel: „Wir sind sehr selbstkritisch, trotzdem dürfen wir uns erlauben, selbstbewusst zu spielen. Es gilt, wieder bereit zu sein und eine Reaktion zu zeigen.“ Ähnlich klang das bei Neuer. Jeder im Team habe „die Motivation und den Hunger, eine bessere Leistung zu bringen und zu zeigen, wer wir sind.“