Angst? Von wegen!

von Redaktion

Der Sturz ist verdaut: Bob-Pilot Johannes Lochner greift bei der WM in Winterberg wieder an

VON HANNA RAIF

München – Diese Millisekunde, wie Johannes Lochner sagt, hat er noch genau parat – und er kann sie auch exakt beschreiben. „Ein leichter Streifer an der Bande, fünf Zentimeter neben der Optimallinie, ich wusste sofort, was passiert“, sagt der amtierende Zweierbob-Weltmeister über die Momente von Altenberg, die noch keine zwei Wochen zurück liegen. Sein letzter Gedanke: „Ui, sch… der Kopf!“ – der Sturz auf der Bahn, die als eine der gefährlichsten der Welt gilt, war schmerzhaft. Deshalb zwickt der Nacken auch jetzt noch, wo sich der Berchtesgadener mit seinem Team in Winterberg erstmals wieder in den Bob gesetzt hat und auf die Heim-WM vorbereitet. Es geht ganz gut, und Lochner wäre auch nicht Lochner, wenn er den Blick nicht schon längst wieder nach vorne gerichtet hätte. Das klar formulierte Ziel: „Ich will gewinnen!“

Diese Worte sprechen eindeutig für das Selbstvertrauen des 33-Jährigen, sie sind aber auch als Gruß an Francesco Friedrich zu verstehen. Denn dass er dem Dauerrivalen ausgerechnet in jener Saison, in der er selbst schon vier Zweier- und drei Vierer-Weltcups gewonnen hat, sowohl die kleine als auch die große Kristallkugel „schenken musste“, tut Lochner schon weh. Am vergangenen Wochenende in Altenberg musste er nach dem Sturz natürlich pausieren, während der Rest Punkte sammelte. Nach der WM steht lediglich noch das Saisonfinale in Lillehammer an. Lochners Fokus richtet sich daher in der Saison, die sowieso schon ein „Bonus“ ist, auf den Höhepunkt, er freut sich auf „zwei richtig geile Wochen“. Nicht nur seine Eltern, seine Frau Hannah sowie Freunde und Fans aus der Heimat werden vor Ort sein, sondern auch diverse Ehemalige und Aktive aus anderen Sportarten, die „inzwischen Freunde sind“.

„Familiär“ wird es für ihn zugehen, sagt Lochner, und wenn man ihm so zuhört, könnte man schon meinen, da steht eine große Abschiedsfeier an. Er selbst muss lachen bei der Frage, denn er weiß ja genau, was im vergangenen Jahr nach der Saison passiert ist. Familie und Team sträubten sich so vehement gegen den Plan des Olympiazweiten, nach dem langersehnten WM-Titel Schluss zu machen, dass er noch einen Winter dran hängte. Wie es jetzt aussieht? „Es konnte ja niemand ahnen, dass wir plötzlich jeden Weltcup gewinnen“, sagt Lochner. Die Unbekümmertheit steht ihm gut – und er weiß auch, dass sie ihn nach Jahren verbissenem Kampf im Schatten von Friedrich derzeit von Sieg zu Sieg trägt.

Der Aufprall in Altenberg war nun ein Dämpfer, er wird Lochner aber nicht aufhalten. Wenn die Schmerzen weg sind – auch Anschieber Erec Bruckert soll nach Gehirnerschütterung zur Vierer-Entscheidung WM-fit sein –, kann das Team voll angreifen. Eine Blockade oder gar Angst vor bis zu 140 kmh in Winterberg hat Lochner nicht. Bewusst bezeichnet er das Bobfahren daher als „Rennsportart“, das Risiko fährt stets mit. Dennoch versucht er wie diverse andere Piloten, die Sicherheitslücken im System aufzudecken. Es gibt viel zu tun.

„Viele Unfälle“, sagt er, „wären vermeidbar“, deshalb sei es nur „gut, dass jetzt alle aufwachen“. Schon in Altenberg, wo auch der Schweizer Pilot Michael Vogt schwer gestürzt war, wurden die Aktiven lauter. Lochner spricht nun von einer Unterschriftensammlung: „Es wäre an der Zeit, Grundlegendes zu ändern.“ Dabei geht es nicht um den Umbau aller Bahnen, sondern um kleine Elemente. Lochner zieht Parallelen zum in der Formel 1 eingesetzten Halo-System, er nennt spezielle Westen, auch Fanghaken könnten auf einigen Bahnen das Szenario verhindern, das dem inzwischen zwei Mal operierten Sando Michel zum Verhängnis wurde: Der Schweizer Anschieber wurde vom Bob erfasst.

Lochner bemängelt vor allem die Kommunikation über all das, was in Altenberg passiert ist. „Bis heute hat mich niemand gefragt, warum ich gestürzt bin“, dabei wäre ein Austausch zwischen dem Weltverband IBSF, den Bahnbetreibern und den Athleten essenziell, um Dinge voranzutreiben. Die Maßnahmen wären kostspielig, ohne Frage. Aber jeder weiß, was hätte passieren können, wenn man nicht so ein „Riesenglück“ hat wie Lochner.

Wäre jetzt keine WM, würde er das Thema gerne vertiefen. Aber das wird vertagt. Am Samstag, wenn die ersten Läufe im Zweier anstehen, findet Lochners Mission auf der Bahn statt. Und zwar auf der Optimallinie – und nicht fünf Zentimeter daneben.

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