München – Wenn ein kleiner Satz große Wirkung hat, weiß man, was die Stunde beim FC Bayern geschlagen hat. Und ganz konkret waren es im Fall von Jan-Christian Dreesen am Dienstag nur drei Worte. „Schau mer mal“, hatte der Vorstandsvorsitzende durch das geöffnete Autofenster auf die Frage eines recht penetranten Fans geantwortet, die lautete: „Fliegt Thomas Tuchel oder nicht?“ Kurzes Aufhorchen in der Öffentlichkeit, denken die Bayern-Bosse nach drei Pleiten hintereinander und mit Abstand von zwei Tagen zum 2:3 in Bochum also doch um? Die Antwort lautete Stand gestern: Vorerst nein.
Wer die Bilder gesehen und sich dazu ein wenig umgehört hat, weiß sie einzuordnen. Anfahrt in die Arbeit, kurzer Smalltalk an der Garage, unangenehme Frage – wie also schnell abmoderieren, ohne unhöflich zu sein? Ein „Ja“ oder „nein“ wären unpassend gewesen, also schnell mit dem alten Beckenbauer-Spruch aufs Gaspedal drücken, abhaken, weitermachen. Was nichts daran ändert, dass man intern den wachsenden Druck spürt. Auf den ganzen Verein, der auf die erste titellose Saison seit 2012 zusteuert – und auf Tuchel im Speziellen.
Natürlich wurden und werden die Köpfe dieser Tage an der Säbener Straße in diversen Konstellationen zusammengesteckt. Auch gestern wurde es hinter verschlossenen Türen konkreter als „schau mer mal“. Denn den Entscheidungsträgern ist bewusst, wie verzwickt die Gesamtlage ist. Gegen das Wort Krise wehrt man sich trotz der schwierigen Situation, allein im regelmäßigen Mitmischen der beiden Aufsichtsräte Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge aber zeigt sich, dass die Zeiten beim Rekordmeister unruhig sind. Während Hoeneß physisch präsenter ist, handelt Rummenigge eher aus dem Hintergrund. Der Rat der beiden Bayern-Macher wird von den Bossen um Dreesen gerne angenommen, auch den internen Duktus, die Trainersituation „von Woche zu Woche“ zu bewerten, gehen sie mit. Gemeinsam hat man sich darauf verständigt, dass mehr gegen als für eine Entlassung des zweiten Trainers binnen eines Jahres spricht. Die Situation ist aber dynamisch.
Auch Dreesen hat schon vergleichbare Zeiten an der Säbener Straße erlebt. In seiner Funktion als CEO aber sind sie Neuland für den einstigen Finanzvorstand. Er geht sie auf seine eigene Art an – und lässt Kritik wie etwa von Lothar Matthäus an sich abprallen. Der Rekordnationalspieler sprach in seiner „Sky“-Kolumne mit Blick auf den Bayern-Vorstand „mangelnde sportliche Kompetenz“ und „fehlenden Stallgeruch“ an. Kurzum: Dreesen ist nicht Hoeneß, er ist nicht Rummenigge und auch nicht Beckenbauer. Aber muss das unbedingt schlecht sein? Zum Vergleich: Hans-Joachim Watzke (BVB) und Fernando Carro (Leverkusen) haben keine Fußball-Karriere hinter sich, auch unter den CEOs der internationalen Topclubs sucht man seit dem Rückzug von Edwin van der Sar vergeblich nach einem Ex-Profi. Zudem hat Dreesen zehn Jahre zwischen Hoeneß und Rummenigge verbracht. Auch das schult.
Deutet man die Zeichen richtig, spricht Einiges für eine Verlängerung seines Vertrags über 2025 hinaus. Wie der Ostfriese seine Rolle interpretiert, wurde am Samstag in Bochum deutlich. Betont ruhig stellte er sich nach der dritten Pleite hintereinander, in der Trainerdebatte ließ er sich erst auf mehrfache Nachfrage zu einer konkreten Aussage („selbstverständlich“) hinreißen. Ansonsten federte er, wie schon in Leverkusen, ungemütliche Fragen ab. Mehr und besser zu kommunizieren als sein Vorgänger Oliver Kahn, hat Dreesen sich bei seinem Start im Sommer zum Ziel gemacht, in der Öffentlichkeit wie intern. Was nicht heißt, dass er auch eine gewisse Härte an den Tag legen kann, wenn er muss. Die versteckte Botschaft in Bochum lautete: „Mentalität schlägt Qualität.“
Ein klarer Auftrag an Trainer und Spieler, unter denen sich die Bosse derzeit auch verstärkt umhören. Am nächsten dran ist Sportdirektor Christoph Freund; fester Bestandteil der Kabine, aber anders als sein Vorgänger Hasan Salihamidzic (noch) kein Lautsprecher. Auch er vernimmt, dass der Rückhalt für Tuchel bröckelt. Wie lange man sich das noch anschaut? „Schau mer mal.“