München – Als sich die deutschen Skeletonis am Dienstag in Winterberg zur Pressekonferenz einfanden, kam Tina Hermann gerade vom Joggen. „Es hat ein bisschen länger gedauert“, sagt sie zu Beginn des Gesprächs – aber entschuldigen muss sie sich für ein paar Minuten Verspätung wirklich nicht. Wie schön es sein kann, an der frischen Luft die Gedanken zu sortieren, weiß jeder, der gerne die Laufschuhe anzieht. Und weil in Hermanns Kopf aktuell halt ein wenig Chaos herrscht, gibt es auch eine Menge zu ordnen.
„Die letzten Wochen waren ein echtes Wechselbad der Gefühle“, sagt die siebenmalige Skeleton-Weltmeisterin. Zwischen der Nicht-Nominierung für die Heim-WM, die an diesem Donnerstag in Winterberg startet, und Hermanns Weltcup-Sieg in Altenberg am vergangenen Wochenende verging gerade mal eine Woche. Doch während Außenstehende in diesem Coup auf ihrer Lieblingsbahn gleich die passende Antwort auf die harte Entscheidung gesehen haben, formuliert Hermann es lieber vorsichtiger. „Der Sieg war für mich der Beweis, dass ich es noch kann“, sagt die 31-Jährige. Und in diesem Wissen will und wird sie nun Entscheidungen über ihre Zukunft treffen. Tendenz: offen.
Es wird hart für die Gesamtweltcupsiegerin des Vorjahres, beim Großereignis im eigenen Land Statistin zu sein. „Genießen“, sagt sie, „kann ich das nicht“, trotzdem will Hermann an der Bahn stehen, wenn die drei Nominierten Hannah Neise (Winterberg), Susanne Kreher (Oberbärenburg) und Jacqueline Pfeifer (Winterberg) am Freitag in den entscheidenden Läufen um Edelmetall für den BSD fahren. Was das Trio ihr voraus hat, ist ihr schon im Laufe der harten Saison bewusst geworden. Geplagt von üblen Rückenschmerzen musste Hermann trotz des Sieges beim ersten Rennen in Yanqing (China) lange kürzertreten, bis heute ist das fehlende Training in den vergleichsweise langsamen Startzeiten sichtbar. Hermann gibt auch mit Blick auf ihr Alter zu: „Es fällt alles nicht mehr ganz so leicht. Mit den jungen Hüpfern kann ich am Start nicht mithalten.“ Sie muss aber zumindest an ihr eigenes Optimum kommen, um die Erfahrung auf der Bahn ausspielen zu können. Das gelang in der laufenden Saison selten – zu selten, um einen der heuer nur drei deutschen WM-Startplätze zu erobern.
Gewissheit gab es nach einer internen Ausscheidung. Hermann ist allein für die Chance, die Bundestrainer Christian Baude ihr gab, dankbar und sagt: „Da ist kein Groll dabei.“ Trotzdem fällt das Akzeptieren freilich schwer. Es fallen Sätze wie „es muss sich was verändern“, der Blick geht dabei in sämtliche Richtungen. Zwar beteuert Hermann: „Ich bin nicht der, der sofort sagt, es ist vorbei.“ Noch so eine Saison, in der sie mehrfach die Top-Ten verpasste, will sie sich aber nicht mehr antun.
Alles, was schiefgelaufen ist, soll analysiert werden, dann geht es an die Grundlagen, die Hermanns Körper braucht. Denn das Karriereziel ist trotz des herben Rückschlags gleich geblieben. Die olympische Medaille fehlt Hermann noch, in Peking schrammte sie als Vierte haarscharf an Edelmetall vorbei. Ein Thema, über das sie nicht gerne spricht.
Was jetzt schon sicher ist, spricht Hermann aus: „Es geht mir gut und ich werde den Kopf nicht in den Sand stecken.“ Nur eine Grenze hatte die „Liebe zu meinem Sport“ in den letzten Tagen nicht überschritten. Das Angebot, als Vorläuferin bei der WM zu starten, schlug Hermann dankend aus. Dann doch lieber joggen gehen – und die Natur genießen. Der Kopf sagt laut Danke. HANNA RAIF