Löst Kroos Probleme – oder schafft er neue?

von Redaktion

Was das Comeback des Weltmeisters von 2014 für die Nationalmannschaft 2024 bedeutet

VON GÜNTER KLEIN

München – Als regelmäßiger Podcaster („Einfach mal luppen“) hat Toni Kroos Medienkompetenz aufgebaut und einen Sinn dafür entwickelt, wie man Neuigkeiten verkündet, Nachrichten platziert. Geschickt hat er sich in den vergangenen Wochen dem Thema Nationalmannschafts-Rückkehr entzogen, Spannung aufgebaut – und sie nun aufgelöst. Botschaft am Donnerstagnachmittag über seine Social-Media-Kanäle: „Leute, kurz und schmerzlos: Ich werde ab März wieder für Deutschland spielen. Warum? Weil ich vom Bundestrainer gefragt wurde, Bock drauf habe und sicher bin, dass mit der Mannschaft bei der EM viel mehr möglich ist, als die meisten glauben.“ Nach Tuchel- und DFL-Investoren-Aus (Mittwoch) die Knallermeldung des bis dahin noch knallernewsfreien Donnerstags. Der Protagonist brachte gleich noch eine Sonderfolge von „Einfach mal luppen“ heraus, in der er erklärte: „Es hat gedauert, bis ich mir sicher war, weil ich ja seit zweieinhalb Jahren raus war.“ Nun aber sei er „in jeder Stunde mehr überzeugt“.

Nach der Europameisterschaft 2021 war Toni Kroos aus der DFB-Auswahl zurückgetreten. Das erschien mit 31 Jahren ein logischer Schlusspunkt zu sein nach je drei WM- und EM-Teilnahmen und inmitten sich verschlechternder Stimmung rund ums Nationalteam. Mit Katar 2022, der umstrittenen Weltmeisterschaft, wollte Toni Kroos nichts zu tun haben, es positionierte sich da in seinem Podcast deutlich – und dass er nicht der Darling der arabischen Welt ist, zeigte sich kürzlich, als er mit Real Madrid in Saudi-Arabien Supercup spielte und ausgepfiffen wurde.

Was die Lage nun veränderte, war die Berufung von Julian Nagelsmann zum Bundestrainer. Man arbeitete zwar noch nie zusammen, doch hat eine Gemeinsamkeit: Trainer wie Spieler werden von Volker Struth beraten, der Draht war also ein kurzer. Außerdem: In der Ergebniskrise des DFB wuchs die Sehnsucht nach einem nervlich stabilen Akteur. Kroos verkörpert genau so einen Typen. Und obwohl sein größter Erfolg der Gewinn der WM 2014 ist, so steht ein Moment aus der missglückten WM 2018 in Russland für all das, was ihn ausmacht. Im zweiten Gruppenspiel gegen Schweden verwandelte er in der Nachspielzeit einen Freistoß aus unmöglichem Winkel – die Expected-Goals-Wahrscheinlichkeit betrug lediglich zehn Prozent. Mit diesem Treffer wahrte Deutschland damals die Chance, noch weiterzukommen (vermasselt wurde sie dann gegen Südkorea).

Im Mittelfeld herrscht nun ein Überangebot

Toni Kroos hatte beim DFB immer einen Sonderstatus. Oft war der Turnierkader schon im Vorbereitungs-Trainingslager, da hatte er noch Champions-League-Finale mit Real Madrid; die anderen versammelten sich vor dem Fernseher und beklatschten ihn bei seiner Ankunft ein paar Tage später. Vor allem seine Erfahrung könnte ein Plus bei der EM sein, die auch ihn motiviert: Ein Heim-Turnier hat Kroos noch nicht erlebt.

Was halt die Frage ist: Ob seine Rückkehr ein Problem löst oder nicht vielleicht sogar Überfluss schafft? Denn im Mittelfeld ist das Angebot reichhaltig. Ilkay Gündogan, kurioserweise auch in der spanischen La Liga mit Barcelona Gegenspieler von Kroos und Real, hat als Champions-League-Gewinner mit Manchester City internationale Reputation aufgebaut, dann sind da noch Joshua Kimmich und Leon Goretzka, ins Blickfeld gespielt haben sich Pascal Groß und Robert Andrich – und es muss auch noch Platz sein für die Spieler aus dem Offensivtalent-Pool: Florian Wirtz, Jamal Musiala, Kai Havertz.

Das wird in den Wochen bis zu den Comeback-Spielen in Lyon gegen Frankreich (23. März) und Frankfurt gegen die Niederlande (26. März) diskutiert werden. Die Meinungen zu Kroos gehen ja weit auseinander. Wer ihn kritisch sieht, nennt ihn den „Querpass-Toni“, weil seine Zuspiele stets kontrolliert wirken, aber nicht für Spektakel stehen, und auch Bayern-Ehrenpräsident Uli Hoeneß, der immer noch beleidigt wirkt, weil Kroos 2014 zu Real wechselte, erklärte ihn vor zwei Jahren in der Sport1-Sendung „Doppelpass“ für aus der Zeit gefallen. Auf der anderen Seite wird Kroos verehrt von etwa seinem ehemaligen Leverkusener Mitspieler Stefan Reinartz, der die Spielanalyse-Methode des „Packing“ erfand und für den Kroos das Musterbeispiel von Effektivität ist.

Jetzt liegt es an Julian Nagelsmann, Kroos so einzubinden, dass er eine taumelnde Mannschaft stabilisiert. Dafür muss der Bundestrainer mit der bis auf die unmittelbare EM-Vorbereitung schon letzten Länderspielmaßnahme alles auf Null stellen. Sportdirektor Rudi Völler nimmt Kroos mit offenen Armen auf – als „Weltklassespieler, der immer noch zu Mächtigem fähig ist“. Mit Manuel Neuer, Thomas Müller, Mats Hummels und Kroos werden vier alte Weltmeister im EM-Kader erwartet.

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