München – Es lag in der Luft, dass Thomas Hitzlsperger mal ein Buch schreiben würde. Spätestens seit 2014 und seinem Coming-out, ein schwuler Mann zu sein. Aus einem Fußballprofi mit interessanter Vita in England, Italien und der Bundesliga, immer auch aufgefallen durch weitsichtige Äußerungen und flankierende publizistische Tätigkeiten, war eine weit über seinen Sport hinauswirkende Figur geworden.
Hitzlsperger, heute 41, hat sich lange Zeit gelassen, nun (am 7. März) erscheint seine Biografie. Wobei: Das ist eine Bezeichnung, die den Inhalt von „Mutproben“ (Kiepenheuer und Witsch, 23 Euro) nur teilweise abbildet. Natürlich erzählt Thomas Hitzlsperger aus seinem Leben, doch das Buch, das er zusammen mit Holger Gertz, dem herausragenden Autor der Süddeutschen Zeitung, verfasst hat, ist auch eine Nachdenk- und Streitschrift.
Zum biografischen Teil, der seine Karriere nachzeichnet: Es geht um die Anerkennung, die er in der Premier League erfuhr, und am anderen Ende der Skala um das Gefühl, nicht gebraucht zu werden wie am Ende seiner Spielerzeit beim VfB Stuttgart und nach dem Verzweiflungs-Wechsel zu Lazio Rom, mit dem er die WM-2010-Nominierung retten wollte – was misslang. Er erzählt vom perfekten Schuss (wie 2007 zur Stuttgarter Meisterschaft) und auch von liebenswürdigen Kleinigkeiten, etwa seiner Furcht vor Zurückweisung, weswegen er gegnerische Spieler selten um deren Trikot bat. Thierry Henry hatte ihn mal abblitzen lassen, Prunkstück von Hitzlspergers kleiner Erinnerungssammlung ist das EM-2008-Trikot des Spaniers Cesc Fabregas – er trägt es beim privaten Fußballspielen.
Im Januar 2014, nachdem er aufgehört hatte, aktiver Spieler zu sein, informierte er die Öffentlichkeit über seine sexuelle Orientierung, über die er sich ab dem Jahr 2010 unwiderruflich klar geworden war. Zum Coming-out war Hitzlsperger schon damals bereit, vertagte das Erscheinen seiner Interviews mit der Wochenzeitschrift Die Zeit aber mehrere Male. Man möchte die Zögerlichkeit auf die Ungewissheit darüber zurückführen, wie die Fans reagieren würden. Doch dem war nicht so, wie Hitzlsperger verrät. Vielmehr befürchtete er, in der Kabine Chaos anzurichten – und das wollte er erst recht vermeiden, als er bemerkte, wie er sportlich unwichtiger wurde für seine Teams.
Er beschreibt auch seine Zeit als Funktionär beim VfB Stuttgart, die am Ende keine Erfolgsgeschichte war, weil er nach einem Offenen Brief, der den Präsidenten Claus Vogt angriff, als „Spalter“ wahrgenommen wurde. „Wie ich es gemacht habe, war falsch“, gesteht er ein. „In der Kommunikation – also in einem Bereich, wo man mir zugetraut hat, dass ich besonders gut bin – hatte ich Fehler gemacht.“ Thomas Hitzlsperger ist wohltuend ehrlich, ohne Selbstmitleid. Er erzählt ohne Schnörkel, als wolle er die Aufzeichnung seines Lebens nicht zum Schmöker auswuchern lassen. Die 220 Seiten lesen sich gut und schnell weg.
Und es ist noch Platz für die Themen, die ihm wichtig sind: Sportswashing, Katar, die arabischen Investoren, der Fall des übergriffigen spanischen Verbandspräsidenten Rubiales, das gesellschaftliche Klima, in dem der Fußball sich bewegt.
GÜNTER KLEIN