„Zum meinem ersten Spiel bin ich mit dem Hocker der Oma“

von Redaktion

Wer die Geschichte des FC Bayern verstehen will, muss mit ihm sprechen: Heiner Jüngling ist Mitglied Nummer 1 beim Rekordmeister, vor 84 Jahren trat der gebürtige Münchner in den Verein ein. In Teil zwei unserer großen Serie spricht er über sein Leben mit dem FCB, den ersten Stadion-Besuch in den 60ern und wie der Fußball populär wurde.

Heiner Jüngling, warum sind Sie Mitglied des FC Bayern geworden?

Die Mitgliedschaft war für mich ein Glücksfall. Mein Vater hat damals beim FC Bayern in der dritten Mannschaft der Alten Herren gespielt, also hat er mich zu meiner Geburt 1939 direkt als Mitglied zum FCB gebracht – bevor mich noch irgendein Onkel bei Sechzig anmeldet (lacht).

Wann wurden Sie Fan?

Durch meinen Vater hatte ich ein paar rote Hosen und ein Trikot. Das hat gereicht, um mit Bayern warm zu werden. In dieser Zeit gab es aber andere Sorgen, erst als ich fünf oder sechs Jahre alt war, kam mein Vater aus dem Krieg zurück. Dass ich Mitglied bin, wusste ich lange selbst nicht.

Wieso?

Als Kind kriegt man sowas nicht mit, außerdem hat die Firma meines Vaters den Beitrag gezahlt. Als er wieder anfing dort zu spielen, wollte ich auch kicken. Mit acht Jahren bekam ich dann zu Weihnachten einen Lederball. So habe ich angefangen.

Wann haben Sie zum ersten Mal ein Spiel verfolgt?

1946, damals spielte Bayern im Sechziger-Stadion. Ich war noch klein, also habe ich von meiner Oma einen Hocker mitgenommen. Schließlich gab es nur Stehplätze, mit dem heutigen Zustand und dem Luxus in der Allianz Arena hatte das wenig zu tun.

Wie wurde Fußball und der FC Bayern damals wahrgenommen?

Sechzig war damals bekannter, Bayern quasi ein Niemand. In meinem Umfeld waren die Leute aber sowieso mehr auf Kunst, Musik, Literatur oder andere Sportarten konzentriert. Fußball war verpönt. Als ich meinen Ball hatte, bin ich trotzdem zum Kleinhesseloher See im Englischen Garten gelaufen und habe die Jungs zum Fußballspielen gebracht. So haben wir angefangen, tagelang zu kicken – und selbst, wenn ich keine Lust mehr hatte, hieß es: „Du kannst jetzt nicht gehen, dann haben wir keinen Ball mehr!“

Wie hat man sich in dieser Zeit als Fan informiert?

Morgens habe ich mir eine Zeitung gekauft, darin stand alles, was es über den FC Bayern zu wissen gab. Das waren aber nicht wie heute vier Seiten, sondern nur ein paar Berichte. Für den Rest des Tages musste man damit auskommen, es gab keine stündlichen Meldungen. Wenn es ging, habe ich auf dem Fernseher die Spiele geschaut, doch auch das war nicht immer einfach.

Hatten Sie damals einen Lieblingsspieler?

Wenn wir auf der Straße gespielt haben, habe ich immer gesagt: Heute bin ich der Bertl oder Streitle (Herbert Moll & Jakob Streitle, Bayern-Spieler in den 1940er & 50er Jahren). Auch Sepp Maier oder Gerd Müller mochte ich.

Wie änderte sich ihr Fan-Leben durch die Mitgliedschaft?

In den 60ern bin ich hier und da ins Stadion gegangen. Mit 30 Jahren habe ich festgestellt, dass ich schon 30 Jahre Mitglied beim FC Bayern bin. Auf einmal habe ich eine Einladung zum „Kreis der Alten“ erhalten – dabei habe ich gerade erst geheiratet! Nachdem ich Ehrenmitglied wurde, wurde ich offiziell vom FC Bayern eingeladen. So wurde ich als Fan plötzlich zum noch engeren Kreis der Familie. Und ich habe großartige Persönlichkeiten kennengelernt.

Wen meinen Sie?

In all den Jahren haben vor allem Franz Beckenbauer und Uli Hoeneß den FC Bayern geprägt, genauso wie meine Zeit als Ehrenmitglied. Einmal kam der damalige Präsident Beckenbauer zu uns ins Seehaus, knapp 200 Leute waren vor Ort. Beckenbauer kam ohne Zettel oder Programm, hat ein paar Witze gemacht und mit jedem geredet. Das war eine sehr lockere Atmosphäre. Er hat sich selbst für die Security-Männer Zeit genommen. Es war ihm egal, welche Stellung jemand hatte.

Und Hoeneß?

Nachdem ich 60 Jahre Mitglied war, bekam ich einen eigenen Tisch, der für mich reserviert wurde. Dann folgte der Umzug in die Allianz Arena, ich saß dort zwischen zahlreichen Vereinslegenden und es gab keine festen Plätze. Irgendwann kam Uli Hoeneß zu uns und fragte, wie es uns gefällt. Ich sagte ihm, dass alles gut ist, ich aber ständig meinen Platz wechseln muss – und Uli hat noch am selben Tag dafür gesorgt, dass ich als Ehrenmitglied seitdem immer einen festen Platz habe.

Eine typische Aktion von Hoeneß.

Hoeneß und Beckenbauer haben vorgelebt, dass der FC Bayern eine Familie ist. Sie sind der Grund dafür, dass der FCB jahrzehntelang durch Herzlichkeit geprägt ist.

Wie sehen Sie den FC Bayern heute?

Mit 84 Jahren bin ich als Mitglied Nummer Eins der Rüstigste von unserem Tisch, an dem sonst acht Mitglieder sitzen. Ich komme zu jedem Spiel ins Stadion, weil ich den Verein liebe. Auch, wenn es manche Dinge gibt, die ich am heutigen Fußball nicht mehr so mag: Es gibt überall immer mehr Spieler, die sich nicht mehr so an ihre Clubs binden wollen oder sich lieber mit ihrer Frisur beschäftigen. Aber bei mir bleibt die Verbindung zum FC Bayern ein ganzes Leben.

Interview: Vinzent Tschirpke

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