Herr Rummenigge, wie wichtig war und ist Ihnen Mode als Spieler und Funktionär?
Als ich Fußball gespielt habe in den 70er und 80er Jahren, da hatte Mode nicht die Bedeutung von heute und es gab in dieser Beziehung auch nur wenige extrovertierte Profis. Als ich nach Italien wechselte, 1984, da eröffnete sich für mich eine neue Welt. Man könnte es so zusammenfassen: Ich ging mit weißen Tennissocken nach Mailand – und kam mit schwarzen Seidenkniestrümpfen zurück. Daran sieht man die Entwicklung am besten.
Darf man das wörtlich nehmen?
Als ich vorgestellt wurde gab es an der früheren Geschäftsstelle einen Balkon, wo wir präsentiert wurden. Damals stand Franco Causio neben mir. Er war von Udinese gekommen, hatte vorher lange bei Juve gespielt, gehörte zur Weltmeistermannschaft 1982. Er sagte: ,Ey, Tedesco’, fasste mir an die Strümpfe und schüttelte mit dem Zeigefinger. Er habe da einen Freund, sagte er, und wir würden jetzt Strümpfe kaufen. An einem Sonntag! Das war der Anfang einer Stilentwicklung, Mailand ist ja neben Paris DIE Modehauptstadt schlechthin, und dort musstest Du auch einfach gut angezogen sein. Alle meine Mitspieler sind mit Anzug, weißem Hemd und Krawatte am Spieltag erschienen. Die Zuschauer kamen ebenfalls mit Anzug und Krawatte ins Stadion, vor allem natürlich am Sonntag.
Inwieweit hat die Modeindustrie diese Entwicklung noch gefördert?
Die Modeindustrie hatte früh verstanden, dass die Fußballer einen Einfluss auf die Gesellschaft hatten. Damals war die Serie A natürlich auch die beste und glamouröseste Liga der Welt. Und die Italiener hatten wegen ihrer Modeindustrie naturgemäß großes Interesse, die Mode weiter zu entwickeln. Unser Ausstatter bei Inter Mailand war Armani, ich hatte auch mal ein Fotoshooting 1984, da kam Giorgio Armani vorbei und wir tranken einen Espresso zusammen. Ich war sehr beeindruckt.
Waren Sie mit dem Modebewusstsein damals ein Exot?
Wenn ich zur Nationalmannschaft reiste, haben mich schon alle mit großen Augen angeschaut. Ich kam da ja dann auch mit Anzug, weißem Hemd und Krawatte an. Aber mir hat es einfach gefallen, vor allem die elegante Mode dieser Zeit. Ich bin auch an freien Tagen manchmal zum Einkaufen in die Via Monte Napoleone, die Mailänder Shoppingstraße, gefahren. Das ist mir auch bis heute geblieben, die Freude an schönen, fließenden Stoffen, eleganten Schnitten und hochwertiger, zeitloser Qualität.
Wer war zu Ihren aktiven Zeiten der am besten angezogene Profi?
Ganz eindeutig Franz Beckenbauer – alles an ihm hatte eine gewisse Lässigkeit, an ihm sah selbst der Trainingsanzug viel besser aus als bei uns. Er ist als erster auf den Wiener Opernball im Smoking gefahren, er war auch modisch ein Vorreiter. In Italien würde ich Walter Zenga nennen, unser Torhüter, er hatte die extravagantesten Klamotten und war auch teilweise sehr extrovertiert in seinem Stil.
Wie bewerten Sie die Mode von heute; wie hat sich das Stilbewusstsein von Profis verändert?
Die Beziehung zur Mode hat sich komplett verändert – und auch die Mode selbst. Sie ist heute viel mehr Mittel zum Zweck, sie ist extrovertiert und Profis nutzen sie als Statement. Früher haben wir keinen Anzug getragen, um uns zu präsentieren, sondern aus Respekt vor der Sache. Heute geht es natürlich auch um Social Media, Firmen zahlen auch teilweise viel Geld, damit Profis gewisse Marken tragen und damit das Stilbewusstsein der jüngeren Generation beeinflussen. Manchmal geht das auch etwas zu weit und man könnte denken, sie hätten mit dem Federkleid eines Papagei getauscht.
Und was von damals haben Sie heute noch im Schrank?
Gar nichts – wobei das stimmt nur bedingt. Einen meiner besten Anzüge von Kiton, ein dunkelblaues Modell mit Nadelstreifen, habe ich meinem Sohn Henry vermacht. Der hat ihn umschneidern lassen und trägt ihn bis heute. Das ist eben Qualität.
Interview: Hanna Raif