Barcelona – Der Junge mit der Zahnspange hatte es schon eine Viertelstunde zuvor probiert. Von halbrechts mit dem linken Fuß, doch da war der Ball noch an die Latte geklatscht. In der 73. Minute justierte Lamine Yamal nach. Diesmal flog der Ball genau in den Winkel. Es war ein Traumtor, das dem FC Barcelona am Freitag ein 1:0 gegen Mallorca bescherte. Yamal sprang über die Werbebande, baute sich vor den Fans auf. Er freute sich wie ein Kind. Er ist ja noch ein Kind.
16 Jahre und acht Monate Erdendasein zählt die jüngste Perle aus Barças Nachwuchsakademie La Masia, und vieles spricht dafür, dass es sich bei ihr um ganz besonders hochwertiges Material handelt. Flügelstürmer Yamal, in der nahen Industriestadt Mataró aufgewachsener Sohn eines marokkanischen Vaters und einer äquatorialguineischen Mutter, hat schon etliche Altersrekorde gebrochen: Jüngster Torschütze in La Liga (16 Jahre und 87 Tage, in Granada), jüngster Startelfspieler in der Champions League (16 Jahre, 83 Tage, in Porto), jüngster Nationalspieler und jüngster Torschütze für Spanien (beides mit 16 Jahren und 57 Tagen, in Georgien).
Spätestens seit seinem Bravourstück vom Freitag ist er außerdem: Jüngster Hoffnungsträger für ein Champions-League-Achtelfinale. Nicht Robert Lewandowski, der gegen Mallorca über weite Strecken geschont wurde, oder Ilkay Gündogan wurde in den Tagen vor dem richtungsweisenden Match gegen den SSC Neapel über die Titelseiten der Presse spazieren geführt. Sondern er, der 16-Jährige. „Lamine, erkälte dich nicht!“, titelte „Sport“ in elterlicher Sorge angesichts der grassierenden Grippeviren in der Stadt. Dazu ein Foto von ihm und dem auch erst 17-jährigen Pau Cubarsí, der neuesten Entdeckung in der Innenverteidigung.
Nach einem 1:1 in Italien muss Barça heute gewinnen, um noch irgendetwas aus dieser Saison machen zu können. Acht Punkte Rückstand in der Liga auf Real Madrid, frühes Pokal-Aus in Bilbao, Verletzungsmisere, Stilkrise, die Rücktrittsankündigung von Trainer Xavi zum Saisonende und das alles in eher trister Atmosphäre im weitläufigen Ausweichstadion auf dem Olympiahügel: es droht sonst eine Spielzeit zum Vergessen.
Yamals teuflische Dribblings sorgen am ehesten für die Überraschungsmomente, die Barças Spiel diese Saison ansonsten notorisch abgehen. Dazu wird er auch zusehends effizienter. In seinen letzten drei Liga-Startelfeinsätzen kam Yamal auf drei Tore und zwei Torvorlagen. Seine Formkurve zeigt konstant nach oben.
Wie die von Cubarsí, der im Herbst noch U17-WM und Youth League spielte und erst im Januar, damals auch noch 16, in Barças erster Elf debütierte. Nun stand er in den letzten sieben Ligaspielen in der Anfangsformation und erwies sich dabei als Barças komplettester Abwehrspieler – in Übersicht, Zweikampfverhalten wie Spieleröffnung. „Es ist lange her, dass ich einen jungen Innenverteidiger gesehen habe, der so ruhig und gut von hinten raus spielt“, lobt Lewandowski.
„Der Nachwuchs von Barça ist unerschöpflich“ staunte zuletzt auch Mallorca-Trainer Javier Aguirre. Dem erfahrenen Mexikaner hat es besonders Yamal in einem Maße angetan, dass er sich zum größten aller Vergleiche hinreißen ließ: „Ich erinnere mich an das erste Mal, als ich ein Jugendspiel von Messi sah.“ Wie eine „Ratte“ habe sich der Argentinier durch die gegnerische Abwehrreihen geschlängelt. Bei Yamal habe er, so Aguirre, denselben Eindruck: „Der sieht auch nach Ratte aus.“
FLORIAN HAUPT