Beispiel DFB-Team

Das Dilemma mit den Kapitänen

von Redaktion

VINZENT TSCHIRPKE

Die Aufgaben sind klar definiert. Die Spielführer einer Fußballmannschaft betreten „zuerst das Spielfeld, begrüßen den Kapitän des anderen Teams und nehmen an der Seitenwahl teil“, so steht es im Fußball-Lexikon des DFB. Außerdem tragen sie eine Binde am Oberarm und sollen für Fairness auf dem Platz sorgen – wenn sie denn überhaupt spielen.

Genau das ist nämlich bei der deutschen Nationalmannschaft nicht sicher. Julian Nagelsmann bestätigte bei der Kader-Nominierung am Donnerstag, dass sein Kapitän gegen Frankreich und die Niederlande (und somit auch bei der EM) Ilkay Gündogan bleibt. Der Mittelfeldspieler vom FC Barcelona ist zwar ein renommierter Akteur, der auf Vereinsebene alles gewonnen hat, außerdem gilt er als kluger Ansprechpartner für seine Trainer. Aber: Er ist beim DFB nicht als Stammspieler gesetzt – und bringt seinen Coach damit in ein Dilemma. Denn durch das Überangebot im Mittelfeld muss Nagelsmann entscheiden, welchen Star er draußen lässt. Toni Kroos gilt nach seiner Rückkehr als gesetzt, Robert Andrich oder Pascal Groß sind als defensiver Gegenpart eingeplant. Bleibt für Gündogan nur ein Platz weiter vorne, wo der DFB mit Jamal Musiala, Florian Wirtz und Leroy Sané am stärksten aufgestellt ist. Im Normalfall könnte der Bundestrainer Gündogan einfach auf die Bank setzen, dessen Bestätigung als Kapitän macht diese Maßnahme aber fast unmöglich.

Zumindest in den zwei anstehenden Spielen kommt Nagelsmann durch Sanés Rot-Sperre um das Problem herum, danach muss er sich aber entscheiden: Untergräbt er seinen eigenen Beschluss – oder stellt er das Team zugunsten des Spielführers um? Wie schwierig diese Ausgangslage ist, zeigt die Saison des BVB: Auch dort ist mit Emre Can der Kapitän kein unumstrittener Startelf-Kandidat. Mit jeder Ein- und Auswechslung Cans verändert sich die teaminterne Machtstruktur, ebenso wird die eigene Autorität des Sechsers geschwächt. Und etwaige Alternativ-Kandidaten müssen sich hinten anstellen, obwohl sie sportlich die Nase vorn haben. Die Situation verdeutlicht, wie wohl bedacht die Wahl eines Kapitäns zu sein hat. Und sie zeigt, dass man zur Definition des DFB-Lexikons noch einen Aspekt hinzufügen sollte: Er muss absoluter Stammspieler sein.

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