Joshua Kimmich (29) gibt nie auf – und diese Mentalität versucht er auch seinen Mitspielern einzuimpfen. Bestes Beispiel: Nach dem zwischenzeitlichen 1:1 gegen Köln am 34. Spieltag der vergangenen Saison – gleichbedeutend mit dem Verlust der Meisterschaft – hat der Mittelfeldchef des FC Bayern seine Kollegen wieder angetrieben, wie ein Video beweist.
„Am Ende greift man immer dann ein, wenn es nicht läuft, also bei Rückschlägen. Wenn alles gut ist, dann lässt man es natürlich laufen. Es hat viel mit Bauchgefühl zu tun, um beispielsweise zu merken, dass bei einem anderen etwas möglicherweise nicht stimmt, er unsicher ist oder irgendwie nervös“, antwortet Kimmich im Gespräch mit unserer Zeitung auf die Frage, wann er als Leader eingreift.
Am Ende konnten die Münchner durch das Last-Minute-Tor von Jamal Musiala (20) doch noch den Titel feiern. Nummer 20 (!) für Kimmich im Dress des FC Bayern. 2015 wechselte er als Shootingstar von RB Leipzig aus der 2. Bundesliga zum deutschen Rekordmeister. In München wurde er zu einem der Lieblingsschüler des damaligen Trainers Pep Guardiola (53/aktuell Manchester City). Unter dem Katalanen wurde der fußballintelligente Mittelfeldspieler sogar als Innenverteidiger eingesetzt. Nach dem Karriereende von Philipp Lahm (40) reifte Kimmich zu einem der besten Rechtsverteidiger der Welt. Im Herbst 2019 folgte die Rückkehr auf seine Stammposition im Mittelfeldzentrum. Auch hier zählt Kimmich zu den Top-Stars in Europa. Seine Führungsqualitäten kann er auf dieser Position ebenfalls besser ausspielen – obwohl er zuletzt wieder sowohl bei Bayern als auch beim DFB als Rechtsverteidiger aushilft.
Was zeichnet einen Leader seiner Meinung nach aus? „In erster Linie geht es um die eigene Leistung, mit der man vorangehen muss. Nur dadurch kann man sich Respekt und Gehör verschaffen“, betont Kimmich. „Dann ist es wichtig, das große Bild im Kopf zu haben, sich Gedanken dazu zu machen, Ansprüche zu definieren, Interaktion mit Mitspielern auf und neben dem Platz, sich konkret für die Sache, für die Clubziele einzusetzen.“
Es sei auch eine Frage der eigenen Persönlichkeit, ob man dafür bereit ist. Fakt ist: Kimmich, vierfacher Familienvater und frei von Skandalen, ist sich seiner Rolle bewusst. Intern ist er für viele Mitspieler ein wichtiger Ansprechpartner. Serge Gnabry (28) und Leroy Sané (28) stand er als Freund in deren sportlicher Krise zur Seite.
Wenn Kimmich etwas stört, spricht er es an – wenn er es für nötig hält, auch öffentlich. Solche Typen, die Klartext sprechen, gab es früher häufiger beim FC Bayern. Mittlerweile findet man sie kaum noch. „Man hat schon das Gefühl, dass man heutzutage weniger Charaktere mit Ecken und Kanten hat“, bestätigt Kimmich. Er erklärt aber auch, warum dem so ist: „Es ist aber aufgrund des heutigen Zeitgeists mit Sicherheit auch schwieriger als früher. Heute wird jede kleinste Kante gefühlt dauerdiskutiert, bewertet und am Ende für gut oder schlecht befunden. Es gibt so gut wie keinen Zwischenraum mehr, weniger Akzeptanz und Differenzierung. Das führt verständlicherweise zwangsläufig dazu, dass sich viele diesem Dauerfokus entziehen. Darüber braucht sich dann aber auch keiner wundern.“ PHILIPP KESSLER