Bambi der Nation

von Redaktion

Musiala in Galaform lässt Bayern und DFB träumen: „Mit ihm Europameister“

VON HANNA RAIF

Darmstadt – Die Dramaturgie im Presseraum des Darmstädter Stadions hätte passender nicht sein können, denn als Trainer Torsten Lieberknecht den Satz des Tages ausgesprochen hatte, ging für ein paar Sekunden das Licht aus. Auf die über Jamal Musiala geäußerten Worte „er wird die Mannschaft zur Europameisterschaft führen – wenn sie nicht sogar Europameister werden mit ihm“ konnte sich Thomas Tuchel also im Dunkeln eine Antwort überlegen. Sie lautete „Wow!“ und war verbunden mit einem ungläubigen Kopfschütteln. Die freie Übersetzung dieser Szene nach dem 5:2 (2:1) des FC Bayern in Darmstadt: Bitte jetzt nicht durchdrehen!

Lieberknecht nahm die Reaktion seines Kollegen nicht persönlich, denn er weiß ja, dass ein Coach seinen Spieler immer noch ein bisschen besser machen will. Dass der Spielraum nach oben bei Musiala aber immer weiter ausgeschöpft ist, hatte der Lilien- Coach am eigenen Leib spüren müssen. Zwei Treffer (36./64.) hatte der 21-Jährige selbst zum dritten Bundesliga-Sieg hintereinander beigetragen, dazu das zwischenzeitliche 4:1 eingeleitet. Neben den vielen erzählenswerten Einzelgeschichten – dem Ärger über den frühen Rückstand, Serge Gnabrys Joker-Tor (74.), Harry Kanes Torrekord (45.+1) und Mathys Tels Nachspielzeit-Treffer (90.+3) – bot Musiala mal wieder die Haupt-Story. In den letzten fünf Spielen war der Nationalspieler an einem Tor beteiligt – und im zweiten in Folge sogar an mindestens drei.

Die Worte, die Musiala selbst über den Auftritt verlor, der den Bayern nach vier Auswärtsspielen ohne Dreier wieder einen Sieg einbrachte, klangen mit Blick auf diese Bilanz reichlich unspektakulär. „Ich bin zufrieden, wie ich gerade spiele“, sagte er etwa, verbunden mit dem Vorhaben, „weiterzumachen, was ich in der letzten Zeit gemacht habe“. In Darmstadt war das schlichtweg Weltklasse – oder wie Christoph Freund formulierte: „Jamal macht unglaubliche Dinge auf dem Platz.“ Nicht nur dem Sportdirektor macht es „großen Spaß, ihm zuzuschauen. Er sprüht vor Spielfreude.“ Sinnbildlich dafür stand die Szene vor dem 3:1: Nach einem Müller-Einwurf tankte sich Musiala durch gleich fünf Darmstädter durch und zog aus zehn Metern ab. Der Ball klebte einfach an seinem Fuß.

Kapitän Manuel Neuer bezeichnet Musiala längst als „Unterschiedsspieler. Er ist schwer zu stoppen“. Und sogar Lieberknecht sprach von einem „Hochgenuss“, wenn Musiala Fahrt aufnimmt. Zwar kommt auch dem „Bambi“ zugute, dass der Rekordmeister sich aus der jüngsten Krise befreit hat. Trotzdem hebt er sich von seinen Nebenmännern noch mal enorm ab. Verglichen mit Leroy Sané, der seit dem Hinspiel gegen Darmstadt auf einen Liga-Treffer wartet, und dem in Darmstadt aktiven, aber blassen Thomas Müller spielt Musiala in einer anderen Liga. In einer, die in Fußball-Deutschland einmalig ist – und nicht nur Lieberknecht Hoffnung macht.

Tuchel denkt vielleicht weniger an die EM, er hat aber in der Champions League noch einiges vor. Und da ist es mit Blick auf den anvisierten Weg nach Wembley doch hilfreich, einen Mann im Kader zu haben, der aktuell Woche für Woche „spielentscheidend“ ist. Der Plan ist klar: „Wir hoffen, dass er das Niveau jetzt so halten kann. Wir werden ihn weiter pushen.“ Das wird auch Julian Nagelsmann ab Montag versuchen, in der Hoffnung, dass Musiala auch im Nationaldress durchstartet. Aus 25 Einsätzen stehen da erst zwei Treffer zubuche, Tendenz: ausbaufähig.

Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, Euphoriebremsen in den eigenen Reihen zu haben. Tuchel ist die eine, Müller eine zweite. Denn der sagte nach Abpfiff: „Sein Dribbling ist Wahnsinn, sein Kopfballspiel im gegnerischen Fünfmeterraum noch ausbaufähig. Heute hat man seine Stärken und Schwächen in einem Spiel sehen können.“ Weil das Licht nach diesen Worten nicht ausging, konnte man sein schelmisches Lächeln im Anschluss allerdings bestens sehen.

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