München – Über dieses graue Sakko ist genug geschrieben worden, was aber gerne vergessen wird: es war auch eine Krawatte dabei. Als Uli Hoeneß am 1. Mai 1979 an die Säbener Straße fuhr, fühlte er sich selbst nicht ganz wohl in seinem Aufzug; lange Hose statt kurzer, und dazu dieser ungewohnte Business-Look. Aber weil für ihn persönlich halt eine neue Zeitrechnung begann, wollte er sich auch adäquat kleiden. Ein Manager sieht anders aus als ein Spieler, so viel war dem damals 27-Jährigen klar. Wie genau er aber wirken wollte, musste er selbst noch rausfinden. Der eigene Hoeneß-Stil –und da ging es nicht primär um die Kleidung – wurde in den 50 Jahren danach geprägt, die der heutige Ehrenpräsident im operativen Geschäft verbracht hat. Maßstäbe setzt er bis heute.
Die Geschichte vom Jobnovizen, der ein Arbeitsfeld neu erfindet, ändert sich nicht mehr – sie ist aber immer wieder gut. So gut, dass jeder, der in der Führungsebene des FC Bayern seinen eigenen Weg geht, gerne zurückschaut. Erst zuletzt, nach dem 0:1 im Hinspiel des Champions-League-Achtelfinals von Rom, zitierte Jan-Christian Dreesen „zwei weise Männer“, die nach einer knappen Auswärtsniederlage stets ans Weiterkommen geglaubt haben. Gemeint waren Hoeneß und sein langjähriger Weggefährte Karl-Heinz Rummenigge. Ein ungleiches Duo, in der Sache vereint: alles für den FC Bayern zu geben. Das gilt auch heute noch, wo sie im Aufsichtsrat sitzen und nach dem gescheiterten Anlauf mit Oliver Kahn den zweiten Versuch unternehmen, ihren Verein für die Zeit nach ihnen zu rüsten. Der Schuss, das weiß jeder, muss sitzen.
Mittendrin in diesen Zeiten beim FC Bayern, der den Neuanfang auf vielen Ebenen bewältigen muss, ist Dreesen. Der langjährige und eigentlich im vergangenen Sommer abwanderungswillige Finanzvorstand wurde nach Kahns Aus zum Vorstandsvorsitzenden ernannt, um den Club im Sinne jenes Wertekanons zu steuern, den Hoeneß über fünf Jahrzehnte vorgelebt hat. Das Familiäre, die Wagenburg-Mentalität, der Spaß an der Arbeit stehen da im Mittelpunkt. Woher all das kommt, weiß Dreesen nur zu gut. „Ohne Uli – und natürlich auch ohne Karl-Heinz – gäbe es den FC Bayern in seiner heutigen Form nicht“, sagt er gegenüber unserer Zeitung über den Mann, der für ihn gar einen Paradigmen-Wechsel vollzogen hat. Zum ersten Mal seit 20 Jahren hat der Rekordmeister einen CEO an der Spitze, der keine fußballerische Profilaufbahn absolviert hat. Als Hoeneß 1979 seine Krawatte auspackte, ging Dreesen im ostfriesischen Aurich zur Schule, kickte bei der SpVg in der Jugend, um danach eine erfolgreiche Karriere im Bankwesen zu starten. Dreesen ist ein Kenner der Zahlen, was in der aufgeblasenen Branche sicher nicht schaden kann, aber auch er hat ein Kämpferherz, wenn es um den FC Bayern geht.
Dass sich die Zeiten geändert haben, sieht man nicht nur an Dreesens Schreibtisch. Dort, im zweiten Stock der Geschäftsstelle, sind deutlich mehr als ein Telefon und ein Notizbuch zu sehen. Der Job des Vorstandsvorsitzenden geht weit über die Vollzeit hinaus, Dreesen spricht lachend von „24/7“: „Ich bin da sehr werteorientiert, Engagement und Disziplin sind die Voraussetzungen für gute Arbeit. Erfolg ist immer das, was folgt.“ Die Aufgabenfelder aber sind doch auch andere als früher. 854,2 Millionen Euro statt 12 Millionen Mark Umsatz, rund 1200 statt 20 Mitarbeiter, 316 000 statt 8000 Mitglieder, 75 000 statt 35 000 Heimspiel-Zuschauer im Schnitt: „Natürlich dürfen wir jetzt auch die Früchte der hervorragenden Arbeit der letzten Jahrzehnte ernten“, sagt Dreesen: „Das bedeutet für uns aber auch eine große Verantwortung, und derer sind wir uns vollauf bewusst.“ Was eben nicht heißt, dass sich der 56-Jährige und Präsident Herbert Hainer zurücklehnen und genießen können – im Gegenteil. Die Fußballbranche wächst schnell, vielen zu schnell, die Herausforderungen sind riesig. International erfolgreich zu sein, ohne die Wurzeln zu verlieren, ist das übergeordnete Ziel des deutschen Rekordmeisters.
Während Hoeneß durch die Welt reiste und sich inspirieren ließ, am Mannschaftsbus Tickets verteilte, Transfers tätigte – kurzum: an allen Fronten kämpfte –, laufen die Abteilungen heute längst als eigene Direktionen. „Aber egal ob Merchandising, Sponsoring, Ticketing oder Internationalisierung: Überall hat Uli die ersten Schritte eingeleitet“, sagt Dreesen. Zwar hatte der heute 72-Jährige am ersten Arbeitstag nicht allzu viel zu tun, das aber änderte sich schnell. „Mit Fachwissen, Akribie, Engagement und Kompetenz hat der erste Manager der Bundesliga immer wieder Maßstäbe gesetzt“, so Dreesen. Für den FC Bayern, heute eine internationale Topmarke, war das „ein Glücksfall“, für das Profigeschäft in Deutschland sinnbildend. Dreesen: „Jeder hat größten Respekt vor der Leistung von Uli und Kalle. Völlig unerheblich ob jemand den FC Bayern nun mochte oder nicht – die beiden haben hier Einzigartiges geleistet.“
Und beide sind für ihn weiterhin wertvolle Ratgeber. Auch Dreesen sagt: „Wer wäre ich, wenn ich diese Expertise nicht schätzen und annehmen würde?“ Erfahrung, die immer wieder bei Entscheidungen eine große Rolle spielt. Das hat sich in all den Jahren nicht geändert – und bleibt auch so. Ob mit Krawatte oder ohne. HANNA RAIF