München – „Das Ergebnis“, sagte Münchens Stürmer Nico Krämmer nach dem 7:3-Sieg gegen die Grizzlys Wolfsburg, „ist absolute Nebensache.“ Wie er es meinte: Die Tordifferenz spielt in den Eishockey-Playoffs keine Rolle, in die Wertung kommt nur, ob man gewonnen hat. Wer in einer Serie wie dem jetzt ausgetragenen Viertelfinale als Erster vier Siege realisiert hat, ist weiter.
Trotzdem erscheint ein 7:3 bemerkenswert. Wie auch schon das 6:3, mit dem der EHC Red Bull München das Viertelfinale in Wolfsburg eröffnet hatte. Oder wie Mannheims 7:1-Coup in Berlin oder das fröhliche Hin und Her zwischen Straubing und Schwenningen: erst ein 5:2 für die Niederbayern, dann ein 5:1 für die Schwarzwälder. Auch zwischen Bremerhaven und Ingolstadt fallen nicht wenige Tore: 6:4 und 4:3 – mit zwei Erfolgen liegt „Fischtown“ vorne.
Die Vorstellung, wie Playoffs zu sein haben, sind andere: Als „Playoff-Eishockey“ gilt landläufig, wenn zwei Mannschaften aufeinandertreffen, die zwar viel Entschlossenheit aufs Eis bringen, aber diese erst einmal darauf verwenden, sich keinen Gegentreffer einzufangen. Typisch Playoffs ist, wenn im ersten Drittel kein Tor fällt und die Beteiligten einander zwar grimmig anschauen, aber Strafzeiten vermeiden. Der mit einem guten Gespür ausgestattete Ex-Nationalspieler und heutige Fernsehexperte Rick Goldmann hatte an das Duell zwischen Wolfsburg und München die Erwartung formuliert, „dass es Low-scoring-Spiele werden – mit einem Tor-Ausreißer“ – und er liegt nicht richtig: Es gab bereits zwei torreiche Matches. Offensivspektakel statt defensiver Garantiearbeit. 34 Tore fielen in den vier Spielen der ersten Viertelfinalrunde (Schnitt 8,5), 29 am zweiten Spieltag (7,25). Speziell München und Wolfsburg hatten einen zähen Abwehrkampf in Aussicht gestellt. Der EHC war in zwei der vier Hauptrundenbegegnungen sogar torlos geblieben (0:1, 0:2). Dass es in der fünften Eishockey-Jahreszeit nun auf einmal flutscht, stimmt alle Beteiligten ratlos.
„Ich kann es nicht erklären“, sagt Münchens Trainer Toni Söderholm. „Ehrlich, ich glaube, dass es Zufall ist“, meint Grizzlys-Coach Mike Stewart, der vor fünf Jahren als Augsburger Trainer eine Halbfinalserie gegen München spielte, in der in sieben Spielen mit sechs Zusatzdritteln Verlängerung (EHC-Kapitän Patrick Hager: „Die sieben Spiele waren eigentlich neun“) insgesamt nur 21 Treffer fielen, also klar weniger als drei pro 60 Minuten. „Aber so ist das moderne Eishockey“, fährt Stewart fort, „man sieht es in allen Ligen: Es kann genauso gut 7:6 ausgehen wie 1:0.“
In bisher acht Viertelfinals gab es nur ein erstes Drittel, das 0:0 endete – zwischen Bremerhaven und Straubing. In allen anderen Partien ergab sich das für eine Seite befreiende Erlebnis nach wenigen Minuten. Erst einmal ging ein Spiel auch in die Verlängerung. Am Mittwochabend bei Ingolstadt – Bremerhaven. Die Overtime dauerte aber nur gut vier Minuten. Kein Vergleich zu dem, was früher in den Playoffs los war: Unvergessen die Geschichte, wie Köln und Mannheim sich zusätzliche 108:16 Minuten aneinander abarbeiteten und auf eine Gesamtspielzeit von 168:16 Minuten kamen. Es ging bis nachts um drei, die Betreuer wurden an die umliegenden Tankstellen geschickt, um Energieriegel für die Spieler aufzutreiben. Aber das ist heute auf den Tag 16 Jahre her.
Die Jahre nach 2019 mit München – Augsburg sind ohne die großen Dramen ausgekommen. Der Charakter der Playoffs hat sich gewandelt, das zeigen die High-scoring-Spiele, die in den vergangenen paar Jahren zugenommen haben. Doch in den Köpfen steckt immer noch die Vorstellung, dass die Torflut die Ausnahme ist und nicht die Regel. Wenn Nico Krämmer auf das dritte Viertelfinale seines EHC München am Freitag (19.30 Uhr) in Wolfsburg vorausblickt, sagt er: „Ich würde mich nicht auf viele Tore einstellen.“