Ein Jahr ist vergangen, seitdem Alphonso Davies in einem Doppel-Interview mit Jamal Musiala folgende Sätze geäußert hat: „Bayerns ,Next Gen’ zu sein, ist immer das Ziel. Es ist unsere Aufgabe, diesen Spirit aufzunehmen, zu leben und weiterzutragen.“ Es gab gute Gründe zu meinen, dass sich da in den eigenen Reihen ein Duo entwickelt hat, das mitreißt, begeistert, im roten Trikot alles gibt und Identifikation ermöglicht. Mehr „Mia san mia“ geht nicht. Zumindest: Stand März 2023.
Aktuell sieht die Sachlage im Fall Davies anders aus. Mangelhafte Leistungen auf dem Platz sind das eine, die aus dem Vertragspoker herauszulesende fehlende Bekenntnis zum FC Bayern das andere. Der Frust der Fans ist so groß, dass Davies auf Instagram sogar seine Kommentarfunktion sperren musste. Überzogenen und nicht zu tolerierenden Reaktionen das Stoppschild vorzuschieben, war alternativlos. Dass es dazu aber überhaupt kommt, spiegelt die Erwartungshaltung der Anhänger wider. Man will Spieler, die sich für den Verein – nicht für Geld – zerreißen, und bitte keine Söldner. Passt ein Selbstverständnis wie dieses noch in die Branche?
Die Frage beschäftigt auch die Bayern seit Jahren, es geht da um den berühmten Spagat zwischen Tradition und Moderne. Man hat eingesehen, dass er nur möglich ist, wenn man einen gewissen Irrsinn – wie etwa 100 Mio. Euro Ablöse für Harry Kane – mitgeht. Aber man kann in der Führungsetage dennoch im Moment den Willen dazu erkennen, im irrwitzigen Konzert der Großen einen eigenen Weg zu entwickeln. Bestes Beispiel: der Fall Davies. Statt die geforderten 20 Mio. Euro abzunicken, setzen Max Eberl und Co. finanziell wie zeitlich Grenzen. Nach dem Motto: Niemand ist größer als der Club.
Was da gerade passiert, mag medial aufgebauscht sein, trotzdem schauen Davies’ Kollegen genau hin. Mindestens sieben von ihnen knacken die 20-Mio.-Schallmauer, die in Zukunft nur noch einzelnen Superstars zustehen soll. Das klingt alles vernünftig, finanziell wie ethisch, aber es sollte den Verantwortlichen klar sein, dass ein Anti-Kurs im europäischen Top-Fußball nichts ist, was von heute auf morgen funktioniert. Es wird Geduld und Rückgrat erfordern, will man bei der neuen Strenge bleiben. Sie wird womöglich mehr „Mia san mia“ bringen – kann aber auch zulasten einer anderen Währung gehen, die an der Säbener Straße nicht ganz unwichtig ist: Titel.
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