München – Nadine Keßler, Frauenfußball-Direktorin bei der UEFA, erklärt, warum die EM-Qualifikation ein neues Format bekommen hat, eine Überschneidung der Club-WM der Männer mit der Frauen-EM 2025 in der Schweiz nicht zur Gänze vermeidbar ist, was die Reform der Champions League den deutschen Vereinen für Vorteile bringt, wie konkret im vergangenen Jahr der Flirt mit dem DFB war und sich ihr Leben durch ein Kind geändert hat.
Sie nennen sich bei der nicht mehr Abteilungsleiterin Frauenfußball, sondern Direktorin. Hat die UEFA erkannt, wie wichtig der Frauenfußball ist?
Den Titel trage ich seit ungefähr zwei Jahren. Tatsächlich sind wir nach der Frauen-EM in England von einer Abteilung zu einer Division geworden und dadurch im Board der Direktoren vertreten, was eine schöne Anerkennung für die Entwicklung des Frauenfußballs war.
Auf Grundlage der Nations League wird nun die EM-Qualifikation erstmals in einem Ligen-System ausgespielt, wenn Deutschland mit dem Auswärtsspiel in Österreich (Freitag 20.30 Uhr/ARD) startet. Warum das neue Format?
Der größte Kritikpunkt an der Qualifikation war ja immer, dass es sportlich zu wenig Wettbewerb gab. Daran mussten wir arbeiten. Wir konnten in der Nations League die Zahl der Spiele, die mit drei und mehr Toren Differenz entschieden wurden, bereits um 65 Prozent reduzieren. Zuschauerzahlen und Einschaltquoten haben sich mehr als verdoppelt. Die Verbände halten weiterhin die TV- und Sponsorenrechte. Für das neue Format gab es ein einhelliges Votum von den großen bis zu den kleinen Nationen. Nations League und EM-Qualifikation sind jetzt ein Wettbewerbszyklus mit zwei Phasen und neuen Elementen.
Deutschland spielt in einer Gruppe mit Österreich, Island und Polen, aber in einer anderen Gruppe treffen mit England, Schweden und Frankreich drei der Top 5 der Weltrangliste aufeinander. Ist das eine glückliche Konstellation?
Ich kann mich an das Raunen im Raum bei der Auslosung noch gut erinnern (lacht). Natürlich ist das eine Hammer-Gruppe, die aber dann doch auch besonderes Interesse weckt. Aus der A-Liga qualifizieren sich jeweils der Gruppenerste und -zweite direkt für die EM – wer Dritter oder Vierter wird, kommt ja noch in die Playoffs und spielt mit den Besten der Ligen B und C um die restlichen sieben Plätze. Wer in der Top Ten der Welt ist, sollte sich also trotzdem auf diesem Wege noch durchsetzen können.
Warum der Termindruck? Jetzt der erste Doppelspieltag im April, der zweite dann Ende Mai, Anfang Juni und der dritte bereits Mitte Juli.
Das beschriebene neue Format umfasst 18 Spieltage. Wir haben also keine andere Wahl, jedes Fenster im internationalen Rahmenterminkalender mit Pflichtspielen der UEFA zu nutzen. Das war jedem vorher bewusst.
Frankreich, Spanien und Deutschland treten aber auch noch im Sommer bei Olympia an. Deren Spielerinnen rauben Sie die Sommerpause.
Wann und wo eine Sommerpause stattfindet, ist in jedem Land individuell zu definieren und hängt auch davon ab, wie nationale Ligen terminiert sind. Der Rahmenterminkalender der FIFA legt ja nur fest, wann die Nationalmannschaften antreten. Die meisten Länder haben nach dem 16. Juli eine längere Sommerpause – außer jene drei, die zu den Olympischen Spielen gehen. Natürlich verliefen die letzten Jahre extrem hart, weil wir von 2021 bis 2025 – auch wegen Verschiebungen durch Corona – fünf Finalturniere in Folge spielen. Das strapaziert alle.
Eine Lena Oberdorf hat bereits bei der WM 2023 geklagt, die Lust auf den Fußball zu verlieren . . .
Natürlich ist das sportliche Niveau in allen Wettbewerben gestiegen; und es wird dadurch auch mehr von den Spielerinnen abverlangt. Eigentlich gibt es nicht wesentlich viel mehr Partien als zu meiner Zeit, aber sie sind herausfordernder geworden.
Die Frauen-EM 2025 in der Schweiz hat Konkurrenz durch die erste Club-WM der Männer in den USA mit 32 Teams, die teilweise parallel läuft. Führt das nicht zu Interessenskonflikten?
Wir bemühen uns in Gesprächen mit der FIFA gerade extrem darum, dass die großen Turniere der Frauen eben nicht mehr im August gespielt werden, um den Ligen genügend Platz zu lassen. Klar ist das schade, da die Club-WM der Männer ein großer Wettbewerb ist, aber wir hoffen trotzdem darauf, die Sichtbarkeit für die Frauen erhalten zu können. Die Turniere werden in unterschiedlichen Zeitzonen stattfinden, daher versuchen wir, so viele Überschneidungen wie möglich zu vermeiden.
Welche Erwartungen hat die UEFA mit der Frauen-EM in der Schweiz?
Wir wollen bei den Zuschauerzahlen, beim Transport, bei der Organisation und den Bedingungen für Fans und Teams wieder neue Maßstäbe setzen. Das Budget wird sich gegenüber der letzten EM ungefähr noch einmal verdoppeln. Wir werden zwar kein Stadion wie Wembley haben, aber mit 720 000 Tickets mehr Karten als in England anbieten können. Wir wollen mit einem großen Turnier die Welt überraschen!
Vor der WM 2023 hat die drohende schwarze Mattscheibe in den europäischen Kernmärkten für viel Aufregung gesorgt. Wie sieht es jetzt bei den TV-Verträgen aus?
Gut. Wir werden in mehr als 200 Ländern auf der Welt mit dieser EM vertreten sein, sind in guten Gesprächen. Da wird kein schwarzes Loch entstehen, so viel kann ich sagen.
Wird die EM 2025 die letzte mit 16 Teams sein?
Wir hinterfragen in allen Wettbewerben laufend das passende Format, haben im Moment aber keine Planungen, 2029 mit mehr Mannschaften zu spielen. Das Letzte, was wir wollen, ist ein Finalturnier, bei dem die Leistungsdichte nicht mehr passt. Und wir haben ja erst zur EM 2017 in den Niederlanden auf 16 Teilnehmer angehoben.
Die Champions League der Frauen wird ab 2025 genau wie bei den Männern in einem Liga-System ausgespielt. Aus England, Spanien, Deutschland oder Frankreich wird am aktuellen Format beklagt, dass sich deren Clubs bereits in der Qualifikation eliminieren. In dieser Saison blieb auch der VfL Wolfsburg an der Hürde hängen. Verstehen Sie die Kritik?
Das ist nicht ganz korrekt. Wir haben innerhalb der letzten fünf Jahre zweimal das Format optimiert, führen nun bald einen zweiten Wettbewerb ein und ermöglichen damit bis zu 91 Clubs, ab 2025/2026 Erfahrungen auf europäischer Ebene zu sammeln, damit der Clubfußball in der Spitze und Breite besser wird.
Axel Hellmann von Eintracht Frankfurt hat jüngst gesagt, dass die Champions League der Frauen kein Geld bringt. Wann ändert sich das?
Ich kenne das Budget von Eintracht Frankfurt nicht im Detail. Was ich sagen kann: Bis heute sind die UEFA-Ausschüttungen in der Champions League die mit Abstand höchsten Beträge, die es bei den Frauen in Clubwettbewerben gibt. Jeder Club hat in der Gruppenphase 400 000 Euro sicher, dem Gewinner winken 1,4 Millionen Euro.
Zum Ende der WM 2023 kam auf, dass der DFB Sie gerne als Geschäftsführerin Sport verpflichten wollte. Sie sind damals in Sydney beim FIFA-Kongress den Nachfragen aus dem Wege gegangen. Wie konkret war der Flirt mit dem DFB denn?
Es haben damals Gespräche stattgefunden; das kann ich sagen. Es gab Interesse, das stimmt auch. Aber ich denke, dass jeder mit der heutigen Konstellation prima leben kann. Ich bin sehr zufrieden mit meinem Arbeitgeber; und der DFB hat auch eine sehr gute Lösung (Andreas Rettig/Red.) gefunden.
Ihr Privatleben hat sich verändert, Sie haben 2023 geheiratet und Sie sind auch Mutter geworden.
Ja, wir haben einen kleinen Jungen bekommen, und ich bin dadurch noch effizienter, noch deutscher geworden (lacht). Im Ernst: Natürlich verändert sich das Leben dadurch zum Positiven und man priorisiert Dinge noch einmal anders. Manchmal ist der Perspektivwechsel ganz hilfreich, den diese Veränderung mit sich bringt. Ich bringe Familie und Beruf bisher gut unter einen Hut. Vielleicht bin ich in meinem Job sogar lockerer geworden, weil ich über diese Veränderung sehr glücklich bin.
Interview: Frank Hellmann