Frau Mueller und das fehlende Prozent

von Redaktion

Abstiegskampf und Wahlkampf – für die Löwen eine womöglich toxische Mischung

VON ULI KELLNER

München – Wahlkampf und Abstiegskampf – eine toxische Mischung, die das Zeug hat, den TSV 1860 in den Abgrund zu ziehen. Kein Tag vergeht, ohne dass irgendein Funktionärs-Gedöns die Neuwahl des Verwaltungsrats am 16. Juni in den Fokus rückt – und die sieben Drittliga-Spiele bis zum Saisonfinale am 18. Mai in den Hintergrund.

Gerade erst warf sich das Präsidium schützend vor den Wahlausschuss des e.V., dem Vertreter des „Bündnis Zukunft 1860“ die Objektivität absprechen. „Populismus in Reinkultur“, wetterte Robert Reisinger, der sich prompt mit der nächsten Schmutzelei konfrontiert sah. Laut Sport-Bild wurde beim DFB ein möglicher Verstoß gegen die 50+1-Regel angezeigt – weil Statthalter von Hasan Ismaik den e.V.-Vertretern einen Formfehler beim 50+1-Alleingang mit Finanzchef Oliver Mueller unterstellen. Der Vorwurf: Dessen Geschäftsführervertrag soll mit einer auf den Namen seiner Gattin laufenden Agentur namens SCK geschlossen worden sein, was so interpretiert wird, dass Frau (Claudia) Mueller künftig von fremden Mächten gesteuert werden könnte. Zur Verdeutlichung entwirft die Sport-Bild ein fiktives Beispiel: „Uli Hoeneß kauft sich als Mehrheitsgesellschafter bei der SCK ein, erlangt dadurch das Weisungsrecht über Oliver Mueller.“ Dass die Anzeige wenig Aussicht auf Erfolg hat, wird im Schlussabsatz erwähnt, schließlich könne Oliver Mueller ja nicht alleine Entscheidungen für die KGaA des TSV 1860 treffen, sondern nur nach Rücksprache mit Christian Werner, dem zweiten (für den Sport zuständigen) Geschäftsführer.

So weit, so abstrus. Die aktuellen Beispiele zeigen aber: Der Machtkampf zwischen der e.V.-Seite und der neuen Opposition wird mit härtesten Bandagen ausgetragen – ohne Rücksicht auf den Sport, der beide Lager verbindet. Naheliegende Frage an den Trainer: Kann eine Mannschaft vor so einem Hintergrund überhaupt den Fokus auf den Fußball richten? „Ist nicht meine Baustelle“, wehrte Argirios Giannikis tapfer-professionell ab: „Wir behandeln diese Themen auch nicht in der Mannschaft. Thema ist unser Spiel und der Gegner – mehr nicht.“

Was Giannikis trotzdem nicht entgangen ist: Seine Mannschaft legte im Spiel beim Tabellenletzten Freiburg II (beim 0:1) nicht mehr den Biss an den Tag wie in den elf Spielen vorher, die erst eine umjubelte Positivserie gebracht hatten und danach drei unglückliche Niederlagen. Seine Erklärung für das Nachlassen von Kompaktheit und Kampfgeist: Fehlende „Schärfe“ in den Aktionen, schmerzhafte Ausfälle (u.a. Reinthaler) – das alles in Verbindung mit einem unbewussten Gefühl, doch eigentlich schon auf der sicheren Seite gewesen zu sein. Der Appell des Trainers vor dem wegweisenden Heimspiel gegen Viktoria Köln (Samstag, 14 Uhr): „Wir wissen, dass wir anders auftreten müssen, und dass wir wieder mehr die Basics in den Vordergrund stellen müssen, also die Grundtugenden des Fußballs, ist auch klar.“ Zeit für blinden Aktionismus sehen die Löwen aber noch nicht. Weder ist ein Kurztrainingslager geplant noch ließ die Stimme des Trainers die Kabinenwände erzittern – und ein Psychologe, der die Spieler über Scherben laufen lässt, wurde auch noch nicht bestellt.

Giannikis bleibt bei seiner früh geäußerten Meinung, dass der Weg zum Klassenerhalt ein Marathon ist. Weder sei im Jubel-Februar alles toll gewesen noch im Pleiten-März alles mies. Folglich sei Köln am Samstag auch nicht das erste Endspiel, sondern eine Aufgabe, für die er sich wieder die Löwen aus seiner Anfangszeit wünscht. „Mit 99 Prozent“ mahnt er, „wirst du kein Spiel in dieser Liga gewinnen.“ Dass es die Funktionäre sein könnten, die das fehlende Prozent rauben, sagte er clevererweise nicht.

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