„Ich habe das Messer zwischen den Zähnen“

von Redaktion

Sanni Beucke über das Abenteuer Hochseesegeln und den Traum von der Vendée Globe

Natürlich, Susann „Sanni“ Beucke schaltet sich vom Boot aus zum Interview dazu. Unweit von Lorient, dem französischen Hotspot für Hochseesegler. In der Gemeinde Larmor-Plage, in der man den Crêpe „La Boris Herrmann“ essen kann, lebt Beucke und bereitet sich auf die kommende Saison vor.

Bei den Olympischen Sommerspielen 2021 von Tokio gewann die 32-Jährige in der 49erFX Regatta gemeinsam mit Tina Lutz die Silbermedaille. Und stellte danach ihr Leben auf den Kopf. Vom olympischen Segeln zum Hochseesegeln. Aus dem Hochleistungssport ins Abenteuer. Über den Neuanfang, Angst auf dem Meer und den Traum von der Vendée Globe spricht Beucke mit unserer Zeitung.

Sanni Beucke, Ihr Buch heißt „Gegen den Wind. Mein Traum von den Weltmeeren“ (Droemer). Wann geht es wieder rauf auf die Weltmeere?

Ich habe den ganzen Winter über durchtrainiert. Für die Promo vom Buch habe ich eine kurze Pause gemacht, jetzt geht es wieder aufs Wasser. Das Highlight in dieser Saison ist das Solitaire du Figaro, von Mitte August bis Mitte September. In der Klasse bin ich noch eine ziemliche Neueinsteigerin. Ich bin jetzt zum dritten Mal dabei, und habe richtig Bock auf ein gutes Ergebnis. Ich bekomme immer mehr Sicherheit an Bord. So langsam habe ich das Messer zwischen den Zähnen (lacht).

Nach den Olympischen Spielen von Tokio 2021 haben Sie sich für eine Karriere im Hochseesegeln entschieden. Wie groß war die Umstellung?

Als Silbermedaillengewinnerin habe ich mich dazu entschieden, noch mal ganz vorne anzufangen. Wirklich ganz von vorne. Ich musste die grundsätzlichsten Sachen lernen. Ich habe mich darauf eingestellt, dass ich drei, vier Jahre brauche, um anzukommen. Die Medaille hat viel Selbstbewusstsein gegeben. Das habe ich auch gebraucht in einer Zeit, in der man krasse Fehler macht. Ich hatte viel Angst vor Situationen, in die ich geraten bin. Darauf war ich nicht eingestellt.

In welchen Momenten hatten Sie Angst?

Da gab es viele. Es ist schon beängstigend, durch die Nacht zu segeln. Da muss man sich erst dran gewöhnen. Alles ist dunkel, du nimmst Distanzen anders wahr. Teilweise musst du Fischern ausweichen. Und du bist für alles verantwortlich. Ich bin hier alleine für alles da. Das war anfangs super ungewohnt. Oder wenn viel Wind war, und du noch nicht richtig wusstest, wie du das Boot handelst.

Welche Strategie haben Sie im Umgang mit Angst?

Mich nicht mit der Angst zu identifizieren. Sondern die Angst als Emotion wahrzunehmen, die kommt und auch wieder geht. Genauso wie Frustration oder Stress. Wenn ich Angst habe, versuche ich, mich von außen zu betrachten. Wie eine Fliege an der Wand. Man ist selbst die Fliege an der Wand und betrachtet die Seglerin an Bord. Durch die Entpersonalisierung identifiziert man sich nicht mehr so mit der Angst, die ja auch positiv sein kann.

In Ihrem Buch beschreiben Sie auch die schönen, die magischen Momente auf dem Meer.

Freud und Leid liegen beim Offshore-Segeln super nah beieinander. Da man alleine ist, ist alles sehr anstrengend. Kleine Momente der Freude wie ein Sonnenuntergang oder Delfine sind da super wichtig und lohnend. Ich probiere, diese Momente ganz intensiv einzusaugen. Und zu speichern für das nächste Mal, wenn ich wieder ganz viel Energie brauche.

Kann man den Körper an das schlechte Essen und wenig Schlaf an Bord gewöhnen?

Man kann ihn auf jeden Fall darauf vorbereiten. Ich achte drauf, mit einer guten Fitness und einem erholten Körper reinzustarten. Und idealerweise auch mit einem erholten Geist. Die Vorbereitung ist extrem wichtig dafür, wie du dann an Bord performst. Eine richtige Routine kann sich nicht entwickeln. Dafür sind die Wettkämpfe zu kurz und zu intensiv.

Sie schreiben In Ihrem Buch: Mehr als 11 000 Menschen standen bisher auf dem Gipfel des Mount Everest, 640 flogen ins Weltall, aber nur um die 200 Personen sind bisher bei der Vendée Globe gestartet. Warum wollen Sie eine davon sein?

Die Vendée Globe ist so das letzte große menschliche Abenteuer. Weil sie gar nicht inszeniert ist. Es kann so viel Unvorhergesehenes passieren. Man kann sich nicht stärker mit sich selbst und seinem Boot auseinandersetzen, nicht stärker die Natur fühlen als bei der Vendée Globe. So lange alleine auf dem Meer – das ist für das Segeln die krasseste Herausforderung, der man sich aussetzen kann. Wie weit kann man es schaffen? Wo sind die Grenzen?

Es dauert noch vier Jahre, ist das Projekt ab und zu trotzdem schon im Hinterkopf?

Die ganze Zeit. So ein Projekt muss Jahre im Voraus geplant werden. Das passende Boot, die passenden Strukturen, das seglerische Können. Es ist noch mal ausdauernder, hat viel mit Reparaturen zu tun. Das ist auf jeden Fall täglich im Kopf.

Sie sind die einzige deutsche Seglerin, die von ihrem Sport leben kann. Ist die Sponsorensuche anstrengender als das Segeln?

Die Marketingarbeit und das Sponsoren suchen bzw. halten sind vermutlich der größere Aufwand als das Segeln an sich. Das ist eine Mammutaufgabe. In meiner Klasse aktuell sind die Kosten noch überschaubar. Aber eine IMOCA-Saison oder ein Projekt wie die Vendée Globe kosten mehrere Millionen Euro pro Jahr. Ich strebe die Teilnahme an der Team-Regatta Ocean Race Europe 2025 an, dafür akquiriere ich momentan Sponsoren. Der Finanzbedarf ist hoch. Der generierte Mehrwert für die Unternehmen ist jedoch enorm.

Letztes Jahr sind Sie eine Etappe beim Ocean Race mitgesegelt. Eine Erfahrung, die nachhaltig Eindruck hinterlassen hat?

Die Boote sind super, die Strecke war super interessant. Ich habe eine der schönsten Etappen erwischt. Es war eine super Erfahrung. Ich habe vor allem aber auch viel darüber gelernt, was ich anders machen würde, wenn ich mein eigenes Team hätte. Das Team ist die wichtigste Komponente, unsere Kommunikation war nicht ganz so einfach, da alle französisch gesprochen haben.

Könnten Sie sich vorstellen, ihr eigenes Team über die Weltmeere zu führen?

Das hängt komplett von den finanziellen Mitteln ab. Aber vorstellen kann ich mir das auf jeden Fall. Ich bin eigentlich komplett ein Team-Mensch. Ich bin 15 Jahre mit Tina in einem Team gesegelt. Es ist unheimlich schön, wenn sich verschiedene Komponenten zusammenfügen und alle Segler ihren Part erfüllen. Ich glaube, die Kommunikation und das Zusammenhalten von einem Team sind große Stärken von mir.

Sie segeln mit der Botschaft „This race is female“, der Spruch steht auch auf dem Segel.

Ich finde, eine der Hauptaufgaben von Sport ist es, Motivation und Inspiration zu kreieren. Segeln liefert coole Bilder, es ist ein harter Sport in der Natur. Es ist hat viel mit Mut und sich trauen zu tun. Ich glaube, dass Frauen sich oft nicht genug zutrauen. Ich möchte mit der Kampagne sagen: Macht es! Zieht euer eigenes Ding durch! Egal, was die Leute um euch herum sagen.

Interview: Nico-Marius Schmitz

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