Bayerns zwei Gesichter

Eine Frage der Mentalität

von Redaktion

VINZENT TSCHIRPKE

Manche Fußball-Weisheiten sind so abgedroschen, dass man für sie beim Doppelpass zwei Euro ins Phrasenschwein stecken müsste. Für den FC Bayern gilt aber trotzdem: Die Krise in dieser Saison liegt nicht an der spielerischen Qualität, sondern der eigenen Mentalität – anders ist der starke Auftritt gegen Arsenal direkt nach zwei Liga-Pleiten nicht zu erklären.

Schließlich zeigten die Bayern in London wie angekündigt ihr Champions-League-Gesicht, die Spieler wirkten genau wie Trainer Thomas Tuchel extrem motiviert. Von Beginn der Reise war klar, dass der Rekordmeister die verbliebene Chance für einen Titel nutzen will, die Königsklasse außerdem als willkommene Abwechslung zur Liga-Tristesse dient. Dass diese Einstellung reicht, um mit der europäischen Spitze mitzuhalten, gibt gleichermaßen Grund zur Freude wie zur Sorge.

Denn es ist sicher im Sinne der Verantwortlichen zu sehen, dass ihr Kader stark genug ist, um den Tabellenführer der Premier League an den Rand einer Niederlage zu bringen. Das Unentschieden sorgt für eine gute Ausgangslage, im Rückspiel zu Hause ist der Einzug ins Halbfinale in greifbarer Nähe. Dass es aber ebenso ein Highlight-Spiel wie gegen Arsenal oder zuletzt Lazio Rom braucht, um das eigene Leistungsmaximum zu erreichen, rückt den Charakter der Mannschaft in ein schlechtes Licht. Rein individuell gehören Spieler wie Harry Kane, Jamal Musiala oder Leroy Sané zu den besten Akteuren Europas. Warum sie es als Team gegen Heidenheim, Bochum oder Werder Bremen nicht abrufen, bleibt ein Rätsel.

Vor allem wirft es aber die schmerzliche Frage auf, was in der Konstellation zwischen Tuchel und diesem Kader alles möglich gewesen wäre. Zwar hat auch der Trainer einige Fehler begangen (die zwischenzeitliche Degradierung von de Ligt, ständige Kritik an der Mannschaft), trotzdem ist sein taktisches Verständnis unbestritten. Dass er und sein Team vor der Trennung im Sommer nun die realistische Chance haben, nach vier Jahren wieder ins Halbfinale der Champions League einzuziehen, ist das ironische Ende einer Beziehung voller Missverständnissen. Und so würde es zur Mannschaft und zum Trainer passen, wenn der FCB nächste Woche tatsächlich gegen Arsenal weiterkommt – und davor noch in der Liga gegen Köln patzt.

vinzent.tschirpke@ovb.net

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