Warum gibt es hier keinen Elfmeter?

von Redaktion

Schiedsrichter stiftet „Kinderfehler“-Verwirrung – Experten in der Beurteilung uneinig

VON VINZENT TSCHIRPKE, MANUEL BONKE, HANNA RAIF

London – Wenig deutete in der 67. Minute auf eine spielentscheidende Szene hin. Arsenals Torwart David Raya spielte einen Abstoß quer zu seinem Innenverteidiger Gabriel, parallel ertönte im Emirates Stadion deutlich der Pfiff von Schiedsrichter Glenn Nyberg, die Partie war nach der Toraus-Unterbrechung wieder regulär angepfiffen.

Trotzdem griff sich Gabriel den Ball, legte ihn auf die Fünfmeterlinie und führte den Abstoß erneut aus – und beging somit ein eindeutiges Handspiel im eigenen Strafraum. Für die Zuschauer vor dem Fernseher ging die Szene etwas unter, die Spieler des FC Bayern protestierten dagegen umso mehr. Schließlich hätte auf das Vergehen ein Strafstoß folgen müssen, der beim Stand von 2:1 die Partie womöglich entschieden hätte.

Aber es kam anders: Nyberg ignorierte das kuriose Handspiel, ließ weiterlaufen und sorgte mit seiner Begründung für reichlich Ärger. „Wir hätten einen glasklaren Handelfmeter bekommen müssen“, schimpfte Bayern-Trainer Thomas Tuchel nach dem Abpfiff. „Da sagt der Schiedsrichter zu unseren Spielern, dies sei ein ‚Kid’s mistake’ (auf Deutsch: Kinder-Fehler). Das ist eine ganz neue Form der Regelauslegung.“

Zwar merkte man Arsenal-Verteidiger Gabriel an, dass es sich mehr um ein Missverständnis als ein absichtliches Handspiel handelte – was laut Regelbuch aber nicht vor Strafe schützt. Als „krasse Szene“ bezeichnete Ex-Schiedsrichter Manuel Gräfe die Fehlentscheidung auf X (vormals Twitter). „Bitter für die Bayern!“

Markus Merk, früherer FIFA-Schiedsrichter, hielt dagegen und sagte, dass er die Auslegung verstehe. „Für alle, die von größter Fehlentscheidung oder gar von Betrug sprechen: Wer möchte in dieser Situation einen Elfmeter gegen sich haben?“ Sogar Lothar Matthäus sprach sich gegen einen Pfiff aus: „Ich hätte ihn nicht gepfiffen. Wenn die Regel so ist, dass der Schiedsrichter den Ball gar nicht freigeben muss – und er auf einmal pfeift, denkt der Verteidiger doch: ,Hallo? Was macht der Schiedsrichter jetzt? Warum pfeift er?’ Deshalb war es für mich kein Handelfmeter“, sagte Matthäus auf Nachfrage unserer Zeitung

Der FC Bayern setzt so den ärgerlichen Trend deutscher Mannschaften fort, bei strittigen Szenen benachteiligt zu werden. Schon Borussia Dortmund und RB Leipzig haderten in dieser Champions-League-Saison mit Entscheidungen gegen sich, die sie als zweifelhaft bewerteten.

Thomas Müller bezog sich nach Abpfiff vielsagend auf die häufigen Nachteile: „Es ist vielleicht das, was Matthias Sammer des Öfteren erwähnt hat: Deutsche Teams und die Lobby bei Collinas Kollegen (Pierluigi Collina, Ex-Chef der Uefa- und aktueller Boss der FiFA-Schiri-Kommission, d. Red.), die ist schon zu hinterfragen.“ Immerhin: Kurz vor Schluss, in der Nachspielzeit, hatten die Münchner Glück mit einer Auslegung. Nach einem Kontakt von Neuer mit Arsenals Saka im Strafraum hätten einige Schiris auf den Punkt gezeigt. „Das ist eine Fifty-fifty Entscheidung. Wenn das mein Team ist, würde ich ihn gerne haben wollen“, gab Harry Kane zu. Für Joshua Kimmich war es dagegen „keine aktive Foulbewegung“.

Dass sich der Schwede Nyberg, der in der heimischen Liga keinen VAR gewöhnt ist, die Szene nicht einmal anschaute, sorgte ebenfalls für Ärger – es war der passende Abschluss seiner schwachen Leistung.

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