Bundestrainer Julian Nagelsmann präsentierte sich bei der Präsentation seines vorläufigen Kaders für die Europameisterschaft im eigenen Land schon in EM-Form: Gut gelaunt und mit lockeren Sprüchen – aber trotzdem war der Cheftrainer der deutschen Nationalmannschaft äußerst klar in seiner Kommunikation.
Die Art und Weise, wie Nagelsmann und sein Trainer-Team den Kader zusammengestellt haben, sah keine Kompromisse vor. Obwohl die Leistungskurven von gestandenen Nationalspielern wie Mats Hummels oder Leon Goretzka im vergangenen halben Jahr kontinuierlich nach oben zeigten und der Dortmunder Verteidiger eine Schlüsselfigur seines Clubs beim Einzug ins Finale der Champions League war, verzichtete der Bundestrainer auf das meinungsstarke Duo – und hat damit alles richtig gemacht. Stattdessen dürfen unerfahrene und unbekümmerte Kicker wie Aleksandar Pavlovic vom FC Bayern oder der Stuttgarter Waldemar Anton mitwirken. Stichwort: Kader-Hygiene.
Nagelsmann hat das große Ganze im Blick. Wohl wissend, dass es bei den vergangenen Turnieren immer wieder zu Querelen innerhalb der Gruppe kam – egal, ob der Bundestrainer Joachim Löw oder Hansi Flick hieß. Zur Erinnerung: Bei der Weltmeisterschaft 2018 in Russland kategorisierten sich die Nationalspieler selbst in „Kanaken“ und „Kartoffeln“. Vier Jahre später bei der Weltmeisterschaft in Katar spaltete die Debatte um die One-Love-Binde die Mannschaft.
Gleichzeitig stärkt er mit dem Verzicht auf Hummels und Goretzka seine neue Achse um Abwehrchef Antonio Rüdiger und den zurückgekehrten Mittelfeldboss Toni Kroos. Die Botschaft durch die Nominierung ist klar: Jeder Spieler muss sein Ego zurück- und sich vollumfänglich in den Dienst der Mannschaft stellen. Wer Eigeninteressen verfolgt, ist fehl am Platz.
Das betonte Nagelsmann charmant auf seine ganz eigene Art und Weise am Donnerstag bei der Kaderbekanntgabe in Berlin. Der Fußballlehrer erinnerte an die Rollengespräche, die er bereits bei den DFB-Maßnahmen im März mit seinen Spielern führte: „Wenn jetzt im Trainingslager in Weimar jemand meint, er will diese Rolle nicht mehr erfüllen, dann haben wir da einen guten Bahnhof. Wir haben einen guten Mix aus sehr starken Charakteren.“
Heißt im Klartext: Wer sich nicht unterordnen will, der fliegt. Beziehungsweise: Er fährt Bahn.
Manuel.Bonke@ovb.net