Schmerzhafte Stunden: Kane nach dem EM-Finale 2021, das er mit England im Elfmeterschießen gegen Italien verlor. Auch im Nationaldress ist er titellos. © Imago
München – Dass er sich den Trip nach Hoffenheim am vergangenen Samstag sparen konnte, war rein sportlich für Harry Kane kein großer Verlust. Aber man darf sich trotzdem ausmalen, was womöglich hätte passieren können, wäre der Stürmer beim letzten Saisonspiel mit von der Partie gewesen. Ein, zwei, drei Kane-Tore hätten das 2:4 zum Abschied von Thomas Tuchel womöglich verhindert – und der Mann des Spiels hätte nach Abpfiff seiner ersten Bundesliga-Saison nicht nur die Torjägerkanone persönlich entgegen nehmen, sondern auch noch eine Titelchance vor Augen haben können. Weil aber bekanntlich der Rücken zwickte, konnte Kane nur aus der Ferne dabei zusehen, wie seine Mitspieler sich sogar noch auf Platz drei durchreichen ließen. Seitdem weiß der 30-Jährige, dass der Supercup-Sieger am 17. August zu 100 Prozent nicht den Namen FC Bayern tragen – und er bis mindestens Mai 2025 im Clubfußball titellos bleiben – wird.
Kane lässt sich nicht unterkriegen
„Das ist nicht schön für ihn und ich bin sicher, er weiß, was die Leute dazu sagen“, sagt Gareth Southgate zu dieser Situation. Der englische Nationaltrainer hat am Mittwoch die 33 Spieler benannt, mit denen er sich zunächst auf die EURO in Deutschland vorbereiten wird, und obwohl Kane freilich unantastbar ist, war er bei diesem Termin ein großes Thema. „Natürlich“, sagte Southgate, sei sein Kapitän „enttäuscht, dass er die Liga nicht gewonnen hat“, aber es sei in Kanes erstem Jahr in München halt auch „viel passiert, was von außen nicht sichtbar“ war. Es wäre vollkommen falsch, demjenigen die Schuld zu geben, der mit 36 geschossenen Toren ein historisch gutes Premierenjahr hingelegt hat, das bestätigt auch Southgate, der sagt: „Er hat das geliefert, was wir von ihm erwartet haben, und ich weiß, dass der Verein mit seiner Leistung superzufrieden ist.“ Und trotzdem ist es kein Geheimnis, dass Kane sich den Ausgang dieser Spielzeit doch einigermaßen anders vorgestellt hat.
In knapp einem Jahrzehnt als unumstrittener Stammspieler bei Tottenham und einem Jahr bei den eigentlich denkbar erfolgsverwöhnten Bayern hat es nicht einmal zu einem einzigen Titel gereicht – was die Sehnsucht nach einem Coup mit den „Three Lions“ noch größer werden lässt. Das verlorene Finale von 2021 gegen Italien hängt dem Team noch nach, Kane aber ist gewillt, sich von seinem Titelfluch nicht verrückt machen zu lassen. „Die Liebe zu dieser Herausforderung und sein Wunsch, es zu schaffen“, bestätigt Southgate, seien „ungebrochen. Er freut sich definitiv auf dieses Turnier.“ Wohlwissend, dass die Hoffnungen einer ganzen Nation auf den ersten EM-Titel auch eine Last sein können, die man nur schultern kann, wenn man mental wie körperlich zu 100 Prozent fit ist.
Southgate bestätigt: Rücken „sollte kein Problem sein“
Um daran zu arbeiten, hat Kane im Laufe der vergangenen Woche eine Entscheidung getroffen, die ihm als Teamplayer nicht leicht fiel. Den ursprünglichen Plan, die Reise nach Hoffenheim anzutreten und die Kanone in Empfang zu nehmen, überwarf er, als die Schmerzen am Rücken immer heftiger wurden. Sofort begab er sich die Hände seiner Vertrauensärzte, von denen Southgate gehört hat, was ganz England gerne hört: „Wir und das medizinische Team von Bayern gehen davon aus, dass es kein Problem sein sollte, sobald wir wieder mit dem Training beginnen.“
Im Fußballjargon übersetzt heißt das: Entwarnung. Kane ist bereit für die x. Titelmission seiner Karriere. Sie beginnt in Gruppe C gegen Serbien, Dänemark und Slowenien. Und sollte sie tatsächlich erst am 14. Juli in Berlin enden, ist dieser blöde deutsche Supercup im August für Kane: Sch…egal! HANNA RAIF, PHILIPP KESSLER