Blickt schon wieder nach vorne: Xabi Alonso hat(te) zwischen Euro-League- und Pokalfinale genau 69 Stunden, um die Köpfe seiner Spieler aufzurichten. © IMAGO/Cesare Purini
München – 15 Jahre ist es her, als Rene Adler mit Bayer Leverkusen im DFB-Pokalfinale spielte – Endstand gegen Werder Bremen im Jahr 2009: 0:1. Wenn sich Bayer am Samstag anschickt, zum zweiten Mal nach 1993 den Pokal zu holen, hofft der 39-Jährige auf einen besseren Ausgang für seinen Ex-Club. Im Interview spricht der ehemalige DFB-Keeper über die Lehren aus Niederlagen, Bayern als Bayer-Jäger und die „charmante Lösung“ Vincent Kompany.
Herr Adler, wie sehr blutet das Leverkusener Herz seit Mittwoch?
Ich bin enttäuscht, aber gemäß des Spielverlaufs dieses Finals muss man schon sagen, dass Bergamo absolut verdient gewonnen hat. Leverkusen ist von der ersten Sekunde an so gut wie gar nicht ins Spiel gekommen, das physisch robustere Team hat daher gewonnen. Ich vermeide jetzt bewusst, eine Phrase zu dräschen wie „die haben es mehr gewollt“. Leverkusen war in diesem Spiel einfach nicht in der Lage, etwas entgegenzusetzen.
Hat man in diesem Spiel gesehen, was zu einer dauerhaften Spitzenmannschaft fehlt – Erfahrung?
Man muss ja irgendwann anfangen, die Erfahrung zu sammeln. Überhaupt in diese Position zu kommen, ist schon aller Ehren wert. Aber es ist der nächste Schritt, mit den Rahmenbedingungen in einem Finale besser klarzukommen. Auch wenn man es nach einem verlorenen Endspiel nicht hören will: Negativerfahrungen helfen auf diesem Weg enorm. Wenn man jetzt die richtigen Schlüsse zieht – und vielleicht auch das Pokalfinale für sich entscheidet –, bin ich davon überzeugt, dass man nächste Saison noch besser ist.
In München werden 1999 und 2012 auch als Nährboden für die großen Erfolge 2001 und 2013 gesehen.
Das kann man gut als Beispiel nehmen – solche Zusammenhänge kommen nicht von ungefähr. Wenn man diese schmerzhaften Erfahrungen macht, wird der Fokus und Hunger auf Titel geschärft. Diese werden oft aus Misserfolg und Rückschlägen geboren. Und mal ehrlich: Es war ja nicht normal, 51 Spiele am Stück nicht zu verlieren. Für die Entwicklung der Mannschaft ist es wichtig, solche Täler zu durchleben. Hinfallen und aufstehen sind im Sport essenziell.
Auffällig war, wie viel Größe Leverkusen in der Niederlage gezeigt hat.
Das ist der eingeschlagene Weg in Leverkusen, mit einem Trainer, der ihn vorlebt, und einer sportlichen Leitung, die ihn vorgibt. Sich nach so einem Spiel hinzustellen und Ausreden zu suchen, wäre unglaubwürdig, nicht repräsentativ für dieses Team. Es ist ja auch oft genug vorgekommen, dass die Gegner ihnen nach solchen Leistungen Respekt gezollt haben. Geschlossen zu sagen „die anderen waren besser“, war richtig. So eine Niederlage ist auch leichter zu akzeptieren als solche, in denen wegen Fehlentscheidungen Emotionen im Spiel sind. Sie war eindeutig und verdient.
Auch Alonso war selbstkritisch und sagte: „Ich hatte nicht meinen besten Tag.“ Hat er sich verzockt?
Hinterher ist man immer schlauer. Aber es war schon wichtig, dass der Trainer sich in die Kritik einbezieht. Zu sagen „Ich habe euch einen Plan mitgegeben, ihr habt ihn nicht umgesetzt“, ist als Coach immer schlecht. Xabi Alonso hat da ein besonderes Gespür für die Gruppe, deshalb folgen ihm die Spieler auch so bedingungslos. Das ändert nichts daran, dass die eine oder andere taktische Entscheidung von Außenstehenden – auch mir – nicht auf den ersten Blick nachvollzogen werden konnten. In einem kampforientierten Spiel auf Robert Andrich zu verzichten und einen Stürmer wie Victor Boniface draußen zu lassen, hat mir nicht zu 100 Prozent eingeleuchtet. Dementgegen aber steht der Fakt, dass Alonso schon so oft rotiert hat – und es 51 Mal gutgegangen ist.
Ist das Pokalfinale nun ein Charaktertest?
Leverkusen wird entscheiden, wie dieses Spiel ausgeht. Die Verhältnisse sind einfach zu eindeutig. Der überragenden Mannschaft in Europa steht ein Team gegenüber, das um den Klassenerhalt in der zweiten Liga gespielt hat. Nimmt Bayer die Aufgabe so ernsthaft an wie alle anderen – und zieht die richtigen Lehren –, wird das eine recht eindeutige Nummer. Der Wille, das Double zu holen, ist seit Mittwoch nochmal größer geworden.
Wie viel Bergamo steckt denn in Kaiserslautern?
Bergamo ist von der Qualität etwas anderes – und es wird auch ein anderes Spiel werden, da brauchen wir uns nichts vormachen. Das Tempo und die individuelle Klasse wird Lautern nicht bieten können. Aber die Art und Weise, wie Bergamo gespielt hat, die Zweikampforientierung, den Mut schaut Funkel sich natürlich an. Hinzu kommt: Besonderes Spiel, Pokalfinale, ein absoluter Traditionsverein und eine scheidende Trainer-Koryphäe – da spielt ganz viel rein, was Emotionen freisetzen kann. Im Fußball kann man viel über Willen und Leidenschaft wettmachen. Daher kann es auch wehtun, wenn Leverkusen nicht top vorbereitet und über 90 Minuten da ist.
Wäre das Double noch mal eine andere Kampfansage in Richtung München?
Die Bundesliga-Saison spricht in all ihrer Klarheit für sich. Und die Niederlage im Europa-League-Finale ändert auch nichts daran, dass Leverkusen aktuell die Top-Mannschaft in Europa ist. Die Selbstkritik zeigt mir, dass die richtigen Schlüsse aus dem verlorenen Finale gezogen werden – und zwar schonungslos. Ich glaube fest an das Double, und die Wahrscheinlichkeit, dass Leverkusen auch nächstes Jahr nicht Verfolger, sondern Gejagter ist, ist sehr, sehr hoch. Zumal der FC Bayern sich erstmal wieder neu finden muss.
Wie schnell kann das gelingen?
Nicht von heute auf morgen. Dieses „Mia san mia“, das all die Jahre selbstverständlich war, muss ja erst mal wieder mit Leben gefüllt werden. Momentan wirkt der Verein auf mich so unruhig wie lange nicht mehr. Ich habe manchmal nach den Spielen den Eindruck, dass Thomas Müller der einzige ist, der diese Lage immer souverän moderiert. Der weiß, was der FC Bayern bedeutet. Der weiß, wann man auch mal einen Witz machen muss. Aber er kann dann auch direkt wieder Kampfansagen streuen und den Wutmotor anwerfen. Das sehe ich bei vielen anderen in München in Moment nicht in der gewohnten Souveränität der früheren Jahre, auch nicht bei den Verantwortlichen.
Wer steht konkret in der Pflicht?
Alle. Der FC Bayern muss intern geschlossener werden und einen Kader bauen, der für die Werte, die der Verein vertritt, brennen. Da muss ein kleiner bis mittelgroßer Umbruch geschehen – und allen voran brauchst du dafür einen Trainer. Natürlich wollen die Spieler, die langfristig das Gerüst sein sollen, seit Wochen wissen, wer kommt – und ob derjenige mit ihnen plant. Da sind so viele ungeklärte Fragen, dass ich sagen muss: Leverkusen wirkt dagegen auch fürs nächste Jahr deutlich stabiler.
Vincent Kompany ist nun im Anflug – was sagen Sie als Premier-League-Experte zu dieser Lösung?
Ich habe mich total gefreut, weil ich von ihm sehr, sehr viel halte. Ich muss gestehen, dass ich Burnley vor der Saison auch höher getippt hatte – für mich waren sie kein Abstiegskandidat. Ich habe geglaubt, dass Kompany mit der Art und Weise, Fußball zu spielen, auch in der Premier League besser funktioniert, denn der Auftritt in der Championship war schon fulminant. Das würde ich auch als Maßstab nehmen. Er hat eine herausragende Zukunft vor sich. Er war Kapitän bei Pep, hat sicherlich mit ihm über Bayern gesprochen – diese Tipps sind viel wert. Ich halte es für eine charmante Lösung. Und es ist eine Lösung, die man auch am besten nach außen verkaufen kann.
Besser als andere Kandidaten wie Pochettino?
Auf jeden Fall. Wenn man jetzt einen in dieser Kategorie geholt hätte, hätte jeder geschrieben: Das ist die 1d-, e-, f-Lösung. Jetzt zeigt man: Wir wollten nicht irgendjemanden – sondern wir wollen den Verein für die Zukunft rüsten. Wir wollen einen Trainer, der dem FC Bayern eine Handschrift geben kann. Jetzt muss man ihm aber auch die nötige Zeit geben. Das habe ich vor ein paar Jahren schon mal gehört, als ein junger deutscher Trainer beim FC Bayern angefangen hat. Er war nach eineinhalb Jahren weg…
Sie vergleichen Nagelsmann und Kompany?
Nein. Ich will nur davor warnen, vorschnell zu handeln, wenn junge Trainer Zeit brauchen. Ich halte Kompany für einen ähnlichen Typen wie Alonso. Er ist einer, dem die Spieler folgen, weil er die Vita als Spieler und eine gute Ansprache hat. Er kann Menschen verbinden und emotionalisieren. Es gibt da eine Parallele zu Alonso. Vielleicht ist das der neue Weg: Nicht auf die Vita zu schauen, sondern Mut zu zeigen. Dann muss man aber auch bereit sein, Tiefs zu durchleben. Und da bin ich mir nicht sicher, ob ein Verein mit dem Anspruchsdenken des FC Bayern das durchhält. Du brauchst eine starke Führung, die geschlossen hinter der Idee steht.
Wie in Leverkusen?
Auch Xabi Alonso war angeschlagen. Da hieß es: Wie kann Simon Rolfes im Abstiegskampf einen Mann ohne Erfahrung einstellen? Wenn du etwas machst im Fußball, musst du es mit einer 100-prozentigen Überzeugung machen. Und das sehe ich beim FC Bayern deutlich weniger als in Leverkusen.