Spaß bei den Dreharbeiten hatte Nationaltrainer Georg Ericson, hier in Moskau. Bevor das echte Spiel begann, wurden einige Szenen gedreht. © Imago
Kind in der Welt der Erwachsenen: Der Film lässt eine undenkbare Situation gewöhnlich erscheinen. © Klein
Er tunnelt die Großen: Johan „Fimpen“ Bergman spielt einen sowjetischen Verteidiger aus. © Klein
Regisseur und Star: Bo Widerberg mit Fimpen. © Klein
Berühmte Szene: Ronnie Hellström bindet Fimpen die Schuhe. © Klein
Schwedens jüngster Nationalspieler: Johan Bergman aus Hammary. © Klein
Fimpen, der Knirps wurde zum „besten Fußballfilm aller Zeiten“ gekürt. © Klein
Es waren nur noch wenige Tage bis zur Eröffnung der WM, und zur besten Sendezeit am Abend kam in der ARD ein Fußballfilm. 1974 empfingen die meisten Haushalte nur drei Programme, was im Ersten oder Zweiten lief, wurde Quotenkönig. Am nächsten Morgen sprach man also in ganz Deutschland über das, was man gesehen hatte: ein Märchen, aber so greifbar angesiedelt in der Realität – und zu dem Thema, das alle beschäftigte: Fußball. Die WM. Für die Schweden sich qualifiziert hatte. Wie es hätte gewesen sein können, zeigte dieser Film. Er hieß „Fimpen, der Knirps“, ihn trug eine ganze Generation im Herzen, immer wieder erinnerte sie sich an ihn als einen Teil ihrer Kindheit. Und Jahrzehnte später wurde er dann auch geadelt, weil ihn eine Jury zum besten Fußballfilm aller Zeiten kürte.
Worum es geht: Mackan, der eitle Star von Hammarby und der schwedischen Nationalmannschaft, kommt an einem Bolzplatz vorbei, er will seinen Übersteiger vorführen. Ein Junge pflückt ihm den Ball vom Fuß und tunnelt Mackan, der daraufhin in eine Schaffenskrise gerät. „Formschwäche? So kannst du nicht mal in der Damenmannschaft spielen“, rüffelt ihn der Präsident – und verpflichtet das kleine Genie: Johan Bergman, sechs Jahre alt. Er bestellt Fußballschuhe für ihn: Größe 23.
Schuhgröße 23 – aber Kopfballtore
Hammarby setzt den „Stumpen“ – auf Schwedisch Fimpen – gleich um großen Spiel gegen Atvidaberg ein. Fimpen rettet das 3:3, das letzte Tor erzielt er per Kopfball. Schnell meldet sich Nationaltrainer Georg „Aby“ Ericson: „Am Sonntag ist Länderspiel. Du kannst mitspielen, wenn du willst.“ Fimpen sagt zu. Das schwedische Fernsehen gibt den Kader bekannt: „Johan Bergman ist der jüngste Spieler bisher in der schwedischen Nationalmannschaft. Er ist sechs Jahre alt.“ Fimpen trumpft unbeschwert auf: 3:3 gegen Ungarn. Ein Gegentor fällt, weil Mitspieler Ralf Edström Fimpen die Schuhe binden muss. Es geht nach Österreich. Das nächste Spiel in der WM-Qualifikation. Die Medien interessiert die Frage: Wie gehen die gestandenen Nationalspieler mit dem Kleinen um, welches Freizeitprogramm erwartet ihn? Trainer Ericson: „Wir haben das Buch ,14 kleine Bären‘ für ihn dabei.“ Die Großen müssen daraus für ihn vorlesen, damit Fimpen einschläft. Doch sie selbst sind es, die einnicken. Es kommt zur Krisensitzung. Die Mannschaft regt an, der Verband möge ein neues Buch zu kaufen – Aby Ericsen sagt: „Das ist auch eine Kostenfrage.“
Fimpen trumpft auf dem Platz auf. Gegen Portugal, Frankreich. Doch der Erfolg hat seinen Preis. In der Schule schläft Johan regelmäßig ein. Die anderen können schon lesen und schreiben – er nicht. Er muss Passanten fragen, was auf den Zeitungskästen steht. Er muss Autogramme verweigern, weil er seinen Namen nicht schreiben kann. Die Lehrerin sagt zu ihm: „Du hast kurze Beine und musst mehr laufen, darum bist du so schrecklich müde. Wenn du in der Mitte spielst, bist du weniger müde und kannst das ABC lernen.“
Die Zeitungen schreiben weniger positiv über ihn. „Fimpens Glanz reicht nur eine Viertelstunde“, „Fimpen ohne Feuer“ – und schließlich: „Fimpens Verrat an Schweden.“ Denn Johan Bergman erklärt seinen Rücktritt, die Schule soll Vorrang haben. Dabei steht noch das entscheidende Qualifikationsspiel an – in Moskau gegen die Sowjetunion, Schweden braucht ein Unentschieden. Ericsen sagt verzweifelt: „Ohne Fimpen bin ich pessimistisch. Unser Spiel ist auf ihn zugeschnitten. Wir können nicht defensiv spielen.“ Gut, dieses eine Spiel macht Fimpen noch (wenn ihm die 14 Bären erspart bleiben). Nach dem 3:2-Sieg (Zeitungen: „Der Vater des Sieges heißt Fimpen“) ist Schweden für die WM qualifiziert, Johan Bergman wieder ein normales Kind – und Mackan kehrt in seine Rolle als Star zurück. Ende.
„Die Weltvorstellungen der Erwachsenen stehen im Konflikt mit einem begabten Kind. Darum geht es in diesem Film“, erklärte Bo Widerberg, der Regisseur. Ein Star in Schweden, einer, der bis zu seinem Tod 1997 die irrsinnigsten Projekte realisierte. Sein Assistent Jonas Bergström sagt in einer 2014 enstandenen Fimpen-Dokumentation, dass es solch einen Film nie mehr geben könne. Gedreht wurde er 1972 und 73. „Nur zehn Jahre später wäre es nicht mehr möglich gewesen.“
Aus heutiger Sicht ist es unfassbar, was Widerberg schaffte: Zwei Wochen lang konnte er mit dem kleinen Johan Bergman im Trainingslager des schwedischen Teams auf Madeira drehen. Zu den berühmten Vorleseszenen holte er die berühmten Spieler wie Ronnie Hellström, Roland Sandberg und Ralf Edström in sein Privathaus. Er vereinnahmte die Mannschaften von Hammarby und Atvidaberg – und der Coup schlechthin war: Die echten österreichischen und sowjetischen Nationalspieler ließen sich von Fimpen tunneln und austricksen. Denn einige der Szenen wurden jeweils vor dem Anpfiff der Länderspiele in Wien (da ging es um die WM-Qualifikation) und Moskau (ein Freundschaftsspiel) gedreht. Ronnie Hellström, der nach der WM Torhüter des 1. FC Kaiserslautern wurde, nannte das in der Retrospektive „absolut unglaublich. Sie ließen Fimpen den Anstoß machen und Pässe spielen. Der Schiedsrichter räumte dafür aber nicht mehr als fünf Minuten ein.“
Dieses Material ergänzte Widerberg mit Originalszenen der echten Spiele. Die Geschichte des Films erforderte allerdings auch andere Ergebnisse als die tatsächlichen. In Wien verloren die Schweden 0:2, man sieht die Anzeigetafel, die die Tore von Parits und Pumm verkündet. Widerberg wollte aber ein 2:2. Sein Trick: Er drehte die zwei schwedischen Tore zuhause im Nationalstadion Rösunda, die Österreicher wurden gedoubelt. Regieassistent Jonas Bergström: „Er hat das von weit oben gefilmt, die Zuschauer saßen außerhalb des Bildes.“
Der Film war eine Mischung aus Detailliebe – Ralf Edström: „Bo wollte ein Fallrückziehertor von Fimpen, das haben wir stundenlang versucht, doch es hat nicht funktioniert“ – und Improvisation. „Bo Widerberg hat ein Gerüst vorgegeben, in dem die Akteure handeln sollten“, so sein Assistent. Die Mannschaftssitzung wegen des Vorlesens war eine solche kreative Handlung. Nationalspieler Sören Persson lieferte das Glanzstück: „Wenn wir mit Fimpen pokern, verlieren wir. Ich habe eine Familie zu ernähren, das kann ich mir nicht leisten.“ Hatte er sich ausgedacht.
Hellström wurde zum Fimpen-Botschafter
Bo Widerberg ging mit seinem Fimpen-Film aufs Ganze. Denn als er anfing, war Schweden in eine prekäre Situation geraten in der Qualifikation. Der Fußballhistoriker Jesper Högström sagt: „Widerberg hatte Glück, durch die WM-Qualifikation stieg das Interesse am Film. Er war mit dem Erfolg der Nationalmannschaft verbunden.“ In der echten Geschichte der Qualifikation musste Schweden auf neutralem Boden, in Gelsenkirchen, ein Entscheidungsspiel gegen Österreich bestreiten.
„Die bekannteste Szene des Films ist, wie wir Fimpen vorlesen und alle einschlafen. Mich hat er dann ins Bett gelegt und zugedeckt“, sagte Ronnie Hellström, der 2022 verstarb. Er wurde zu so etwas wie dem Botschafter des Films, wo er aufgeführt wurde, reiste er hin. „Es ist ein Märchen, aber die Grundidee überdreht nicht.“ Für Bo Widerberg hätte sein kleiner Held auch ein „Genie der Violine oder des Schachs sein können“. Doch Fußball war ihm näher, wenn er Filme drehte, endete jeder Tag in einem Spiel. Während eines solchen dachte er sich die Geschichte von Fimpen aus.
Johan Bergman hatte als Kind wirklich so etwas wie den Ruf, ein herausragendes Talent zu sein. Widerberg hörte von ihm, machte ihn ausfindig. „Für mich war das wie Fahrradfahren“, erinnert sich Bergman an die Dreharbeiten, vor allem die Fußballszenen. Über seine Teilzeit-Kollegen aus der Nationalmannschaft sagte er: „Einige waren kinderfreundlicher als andere. Die Schöneren waren ein bisschen schwieriger – wie heutzutage auch.“
Johan Bergman spielt wunderbar in diesem Film. Doch er machte weder im einen noch im anderen Metier Karriere. Er hatte nie wieder eine Filmrolle (arbeitete aber in anderer Funktion in der Filmindustrie) und kam im Fußball über die dritte Liga in Schweden nicht hinaus.
Für Schweden verlief die WM 1974 gut. Das Team überstand die Vorrunde mit Bulgarien und den Niederlanden (jeweils 0:0) und Uruguay (3:0), traf in der Zwischenrunde auf Polen (0:1), Deutschland (2:4) und Jugoslawien (2:1). Platz fünf in der Endabrechnung. Zu mehr fehlte einer wie Fimpen.