„Ich habe mehr Spaß als gedacht“

von Redaktion

Boss Andreas Rettig über seinen neue Rolle beim DFB und die EM-Ziele

Seit September beim DFB: Andreas Rettig, der vor seinem ersten Turnier steht. © Kessler/dpa

Frankfurt – Andreas Rettig ist seit September 2023 Geschäftsführer Sport beim DFB. Der 61-Jährige erklärt das EM-Vorbereitungscamp in Thüringen, warum er der Nationalmannschaft zutraut, als Stimmungsaufheller zu funktionieren und was er vom Umgang der Justiz mit dem DFB hält

Herr Rettig, wie waren die ersten Monate?

Der Campus lebt, hat eine positive Energie und somit macht es mir mehr Spaß, als ich dachte. Ich wusste ja, dass die Gesamtsituation fragil war, als ich hier ankam – die wirtschaftliche Situation, personelle Fragezeichen, die angespannte sportliche Lage bei Frauen und Männern. Und sicher auch in dem Wissen, dass nicht alle hurra geschrien haben, als der Rettig plötzlich DFB-Geschäftsführer wurde.

Sie waren einige Jahre lang der führende Kritiker von DFB und DFL. DFB-Präsident Bernd Neuendorf muss doch ganz schön genervt gewesen sein, weil der renitente Andreas Rettig immer wieder den Finger in die Wunde gelegt hat?

Was schließen Sie daraus, dass ich dennoch DFB-Geschäftsführer geworden bin?

Dass der Präsident sich gesagt haben könnte. „Dann habe ich den Rettig zumindest nicht mehr als Chefkritiker“?

Dann müsste er jeden kritischen Journalisten ja auch beim DFB eingestellt haben.

Jetzt kokettieren Sie.

Nun, zur Wahrheit gehört ja auch, dass der DFB seinerzeit kein gutes Bild in der Öffentlichkeit abgegeben hat. Das habe nicht nur ich so wahrgenommen. Mir hat gefallen, dass der Verband selbstkritisch damit umgegangen ist. Die schlechteste Reaktion auf Kritik ist doch ein Beleidigte-Leberwurst-Denken. Ich bin hier im Haus mit offenen Armen empfangen worden.

Am Montag hat das EM-Trainingslager begonnen. Weichen Sie von nun ab Bundestrainer Julian Nagelsmann und der Mannschaft nicht von der Seite?

Rudi Völler ist erster Ansprechpartner für Julian und die Mannschaft. Für mich gilt die Devise: Je weniger Leute um eine Mannschaft herumschwirren, desto besser. Ich selbst werde vor Ort sein, wenn ich unterstützen kann, und natürlich werde ich alle deutschen Spiele schauen und versuchen, möglichst viele weitere Spiele live mitzuerleben.

Sind Sie bewusst in den Osten der Republik gegangen mit dem Vorbereitungscamp?

Das wurde entschieden, ehe ich zum DFB gekommen bin. Ich finde das großartig. Wir wollen nicht, dass das Gefühl vieler Menschen in Ostdeutschland, abgehängt worden zu sein, noch verstärkt wird. Es gibt Gründe, weshalb wir einen Rechtsdrall in unserem Land haben. Wir wollen uns nicht überhöhen, aber dass die Fußballnationalmannschaft sich im Osten auf dieses große Turnier vorbereitet, ist eine wunderbare Symbolik, die wirken soll: „Ihr seid auch dabei!“ Auch mit Blick auf die Europawahl am 9. Juni. Mir ist diese Botschaft wichtig: „Geht nicht jeder rechten Parole auf den Leim!“

Kann die EM Gräben zuschütten oder wäre das zu viel verlangt?

Ich erhoffe mir, dass ein Wir-Gefühl entsteht in diesen düsteren Zeiten, die wir leider gerade erleben.

So wie beim Sommermärchen 2006?

Vergleiche zu 2006 empfinde ich als untauglich, weil die Rahmenbedingungen völlig andere sind. Kriege und Konflikte, die mühselig überstandene Pandemie, Inflation, wirtschaftliche Rahmenbedingungen, die aufs Gemüt drücken und aufs Portemonnaie. Man spürt aber gerade, dass sich was tut, auch aufgrund des positiven Spins, den wir durch die Spiele gegen Frankreich und die Niederlande hereinbekommen haben.

Was tut sich?

Ich spüre eine freudvolle Erwartungshaltung auf die Europameisterschaft. Ich traue es uns zu, dass wir mit unserer Nationalmannschaft als Stimmungsaufheller funktionieren.

Es hat den Anschein, als verstünden Sie und Neuendorf und Rudi Völler und Julian Nagelsmann sich allesamt ausgesprochen gut. Ist das übertrieben positiv beschrieben?

Keinesfalls. Ich habe mit Rudi Völler acht Jahre lang in Leverkusen Tür an Tür gesessen.

Es hat aber auch mal gekracht?

Stimmt. Ich verdanke Rudi ja auch die Bezeichnung „Schweinchen Schlau“ (lacht). Er hat mich aber trotzdem zu seinem Abschied bei Bayer Leverkusen eingeladen.

Sie wollten den Vertrag mit Nagelsmann unbedingt verlängern. Bleibt er auch dann Bundestrainer, wenn die Nationalmannschaft früh ausscheidet?

Vierter in der Gruppe zu werden bei der Heim-EM wäre sicher kein Empfehlungsschreiben.

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