SERIE: DIE UNERZÄHLTEN UND VERGESSENEN GESCHICHTEN DER FUSSBALL-WELTMEISTERSCHAFT 1974 (FOLGE 7)

Glanz und Tragik des Francisco Marinho

von Redaktion

Schlagzeilen von 1987: Als Francisco Marinho von einem Amateurclub verpflichtet wurde.

Der letzte Versuch, den Ruhm vergangener Tage zu nutzen: Francisco Marinho 1987 in der Uwe-Seeler-Traditionself. © imago

Begegnung zweier Außenverteidiger: Francisco Marinho beim WM-Abschlussbankett in München mit Weltmeister Berti Vogts. © Imago

Dynamik war sein Trumpf: Francisco Marinho startete auf der Außenbahn durch – und sein blondes Haar wehte. Hier im Zwischenrundenspiel gegen die DDR. © Imago

Peter Eiba war ein junger Mann Anfang zwanzig, wie viele 1974 besuchte er Spiele der Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland, er weiß heute nicht mehr genau, wo er Brasilien spielen sah, aber dass ihm einer auffiel.

Die Brasilianer hatten Jairzinho, der noch von 1970 übrig war, ebenso wie Roberto Rivelino, der einmal der Nachfolger Pelés werden sollte. Jairzinho trug einen Afro, Rivelino einen Schnauzbart, sie waren die bekanntesten Figuren und bestimmten die optische Vorstellung, die man von einem „Samba-Kicker“ hatte. Doch als die Südamerikaner in Frankfurt mit einem schmucklosen 0:0 gegen Jugoslawien in die WM einstiegen, wurde einer der Außenverteidiger zum Blickfang: Francisco Marinho, offiziell Francisco das Chagas Marinho. Er hatte langes blondes Haar, es wehte hinter ihm her, wenn er zu seinen offensiven Vorstößen aufbrach.

Der blonde Brasilianer, 22 Jahre alt. Er beflügelte die Fantasie der schreibenden Zunft. In der Bild stand: „Mütter, holt eure Töchter von der Straße, der blonde Teufel ist in der Stadt.“ Die Städte, in denen Francisco Marinho gastierte, waren noch Gelsenkirchen, Hannover, Dortmund, München. Er musste nichts tun, um die Menschen in seinen Bann zu ziehen, er beflügelte die Fantasien. Man prophezeite ihm eine Karriere über den Fußball hinaus: Showbusiness, Popstar, so etwas. Und diese Richtung schlug er ein. Später.

Zunächst war er ein Fußballer, der sich ins Schaufenster spielte. Die WM 1974 war eine Leistungsschau, Vereine machten Entdeckungen, vor allem bei den kleineren der 16 Nationalteams, von denen bis dahin wenig bekannt war. Brasilianer zu verpflichten, das fiel freilich in eine andere Kategorie. Die Stars waren wie vor ihnen Pelé mit dem FC Santos mit ihren Clubs fest verbandelt, Francisco Marinho spielte für Botafogo, eine Top-Adresse, Europa konnte nicht zwangsläufig mehr bieten. Brasilianische Kicker als Export-Schlager, die Welle setzte erst später ein.

Schalke wollte ihn – und im Stadion stimmten die Fans ab

Doch beim FC Schalke 04 setzten es sich die Bosse in den Kopf, einen WM-Star zu verpflichten: Francisco Marinho. Gleich nach der WM ließ sich das nicht realisieren – aber 1975 ging ein Türchen auf: Der schöne Mann kam nach Deutschland, die Teenager-Postille Bravo hatte ihn eingeladen. Francisco Marinho wurde mit einem Otto geehrt – so hieß der Beliebtheitspreis durch alle Kategorien (Musik, Sport, Fernsehen), die junge Menschen interessierten. Francisco Marinho war ein Posterboy. Aus Europa erhielt er damals 200 Fan-Briefe pro Monat, ein deutscher Freund übernahm es, sie für ihn zu übersetzen und zu beantworten.

Die Schalker luden Francisco Marinho zu ihrem Spiel gegen den FC Bayern ein, es endete 2:2. Für die 70.000 Besucher waren Wahlurnen aufgestellt worden, es wurde abgestimmt: Soll der FC Schalke 04 diesen Mann verpflichten? Würden die, die ins Stadion gehen, sich an der Finanzierung beteiligen? Im Gespräch war der Marinho-Zuschlag, eine Mark pro Spiel. Man müsste mit einem hohen Gehalt locken und wahrscheinlich eine Ablöse von mindestens einer Million Mark entrichten.

Wie das Votum des Volks ausfiel, wurde nie bekannt, die Urnen mit den Stimmzetteln verschwand auf rätselhafte Weise. Und der Schalker Verwaltungsrat beschloss: Eh alles zu teuer. Es gab keinen Transfer – und die Erinnerung an den WM-Sommer und den blonden Brasilianer verblasste in Deutschland. Obwohl es Ende der 70er-Jahre Neuigkeiten von ihm gab: Wie sein Landsmann Pelé schlug er bei Cosmos New York auf, dann wechselte er zu den Fort Lauderdale Strikers, er war Teamkollege von Frank Beckenbauer und von Gerd Müller. In New York nahm er Schallplatten auf, er tauchte in einem Film auf, es hieß, Elton John wolle ihn mit auf eine Tournee nehmen.

„Er war ein bunter Vogel“, sagt Peter Eiba. Der WM-Besucher von 1974 brachte Francisco Marinho nach Deutschland. Das war im Februar 1987. Eiba: „Man muss auffallen, was Besonderes machen.“

Eiba hatte in Augsburg eine Spielhallenkette aufgebaut: Harlekin. Und er landete einen PR-Coup. Es gelang ihm, den Firmennamen in der Bezeichnung eines Sportvereins unterzubekommen: BC Harlekin. „Der Günter Mast wollte das immer mit Jägermeister machen.“ Dem Kräuterlikör-Fabrikanten gelang das mit Eintracht Braunschweig in der Bundesliga nicht. Eiba war erfolgreich beim Implantieren von Werbung – allerdings erst einmal nur in der Augsburger C-Klasse. Er rüstete seine Mannschaft auf – mit dem ehemaligen B-Nationalspieler Gerd „Zimbo“ Zimmermann, dem Zweitliga-Torjäger Engelbert Buschmann aus Solingen; er holte den gebürtigen Augsburger Reinhard Kindermann aus Braunschweig; als Manager verpflichtete er Ex-Gladbach-Profi Armin Veh (“Den habe ich aus einem Sportgeschäft, in dem er Schuhe verkaufte, rausgeholt“), Galionsfigur des BC Harlekin wurde der größte Fußballheld der Stadt, Helmut Haller, der damals eine Damen-Boutique betrieb. Die Medien griffen die Geschichte begierig auf: Da will einer von der C-Klasse in die Bundesliga durchmarschieren.

Er wollte, damit das schneller geht, den FC Augsburg unter Druck setzen. Der heutige Bundesligist (seit 2011) war in den 80er-Jahren aus der 2. Liga abgestiegen und kam aus dem Amateurfußball nicht mehr heraus. Eiba sagt, er habe beim FCA „600000 Mark Schulden übernommen und den Verein gerettet, doch dafür gab es kein Danke“. Doch zurück ins Jahr 1987: Eiba trieb die Publicity voran, und es musste etwas geschehen, das mehr hatte als die Strahlkraft der regionalen Granden. Daher: Francisco Marinho sollte ein Harlekin werden. Zuletzt hatte er für Francisco Heat gespielt. Er war 34.

Bunter Vogel in Augsburg – bekifft oder klar im Kopf?

Die Vorstellung: Francisco Marinho sollte mit den Schwäbischen Hallenmeisterschaften im Februar 1987 anfangen, die Attraktion in der C-Klasse werden und dem BC Harlekin helfen, die Bühne Pokal zu nutzen. Eibas Club hatte den Spitzenreiter der A-Klasse 9:1 weggeputzt und würde in der nächsten Runde des schwäbischen Pokalwettbewerbs auf den Bezirksligisten Königsbrunn treffen. Außerdem sollte der WM-Star in der Stadt für die Harlekin-Idee werben, Eiba stellte ihn sich auf Schlittschuhen vor und dass er beim Eishockeyspiel des Augsburger EV den Harlekin-Botschafter gibt.

Wie kam er an Francisco Marinho ran? Das erledigte Willi Aschenbrenner, ein Mann, der im Leben von Gerd Müller eine große Rolle spielte. Aschenbrenner, aus Nördlingen stammend, war ein enger Freund des „Bombers“, der Historiker Hans Woller, der 2019 eine Biografie über Müller schrieb, behauptete, Aschenbrenner habe den Fußballer geschäftlich ausgenutzt – eine Darstellung, der Aschenbrenner, als er bei einem Woller-Vortrag im Publikum saß, widersprach. Jedenfalls: 1987 fädelte Aschenbrenner ein, dass Francisco Marinho nach Augsburg kam.

Marinho kam knapp an. Sein Zubringerflug in Brasilien, so wurde kolportiert, sei beinahe abgestürzt. Bei den Hallenmeisterschaften konnte er dann, da es mit der Spielgenehmigung für den BC Harlekin nicht so schnell klappte, lediglich für eine Prominenten-Mannschaft auflaufen, in der auch Bernd Förster und Buffy Ettmayer antraten. Eiba träumte laut, man könne mit einer solchen Truppe auf Tour gehen wie im Basketball die Harlem Globetrotters.

Francisco Marinho gab sich zugänglich, immer noch der Sonnyboy von 1974. Doch nicht mehr der Spieler, der er war. „Mit richtigem Fußball habe ich aufgehört“, sagte Francisco Marinho, „in Nord-Brasilien habe ich ein Restaurant und einen Verleih für Strand-Buggys. Das läuft aber auch ohne dass ich vor Ort bin.“

Wenn man nahe an ihn herankam, konnte einem nicht entgehen, dass die Fassade bröckelte und das Leben ihm da schon zugesetzt hatte. Die Geschichte machte die Runde, er sei ohne Gepäck angekommen, nicht einmal eine Zahnbürste habe er dabeigehabt. Peter Eiba widerspricht den Mutmaßungen, Francisco Marinho sei 1987 ein Gefangener seiner Süchte gewesen. Sehr viel später wurde es offiziell, dass Marinho alkoholkrank war, auch andere Rauschmittel sollen ihm vertraut gewesen sein. Eiba sagt: „Bei uns war er nicht bekifft. Wir haben im Hotel ,Drei Mohren‘ eine Pressekonferenz mit ihm gegeben, er war völlig klar.“ Francisco Marinho blieb mehrere Wochen in der Stadt, er trainierte beim BC Harlekin mit. Zu einem Einsatz in der C-Klasse kam es nicht. Spielen wollte der Brasilianer nicht. Eiba: „So fit war er auch nicht.“ Nur im Pokalspiel, zu dem 4500 Zuschauer kamen, musste er ran. Der BC Harlekin verlor mit ihm. Sein Engagement endete, danach tauchte er nur noch mal in der Uwe-Seeler-Traditionsmannschaft auf, bei der einige brasilianische Altstars mitkickten. Auf den ersten Blick wirkte Marinho, als habe er die Zeit angehalten – doch das Bild trog.

Peter Eiba hatte keinen Kontakt mehr mit Francisco Marinho nach der Harlekin-Episode. Der Unternehmer wandte sich anderen Projekten zu: Volleyball, Basketball, Fußball mit dem TSV Schwaben und dem FC Augsburg. Zum 50. Geburtstag von Helmut Haller mietete er das Stadion an und veranstaltete ein Feuerwerk. Seine Spielsalons gehörten zum Stadtbild.

Francisco Marinho starb 2014 an einer Blutung im Verdauungstrakt. Peter Eiba erinnert sich daran, wie es auch bei Gerd Müller, der an Demenz litt, und beim herzkranken Helmut Haller nach und nach zu Ende ging. Er findet, im Fußball stecke viel Tragik.

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